Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
hatte: »Willi, der Depp – hat Kappes im Topp – Kappes im Sack – und Kappes im Kopp!«
Mit sechzehn hatte sich Willi hoffnungslos in die Anneliese verguckt. Sie war aber auch ein Wahnsinnsweib gewesen, mit viel Arsch und Titten, dunklen Locken und dicken, roten Lippen.
Damals hatte Willi gerade in der Sauerkrautfabrik draußen an der Weststraße angeheuert, weil die JVA ihn ohne Schulabschluss nicht wollte. Kappeskraut in Plastikschläuche abfüllen war kein schlechter Job – aber Annelieses Meinung nach nicht die beste Voraussetzung für die große Liebe.
Doch jung und naiv wie er war, hatte Willi auf ein Wunder gehofft. Hatte die Gebote befolgt und stundenlang ganz links in der ersten Kirchenbank gehockt. Direkt vor dem Marienbild, neben der eckigen Säule, die das gewaltige Gewölbe des Kirchendaches stützte. Dort, wo die warme Heizungsluft von unten aus den Metallrosten strömte. Als ob die Gottesmutter selbst ihn wärmte, hatte er immer gedacht. Die Maria unter ihrer Panzerglashaube war kaum einen halben Meter hoch, aber wunderschön, mit ihrem uralten, fein geschnitzten Gesicht und dem kleinen König auf dem Schoß.
Und sie hatte stets gelächelt, wenn Willi kam. Keine andere lächelte, die lachten immer nur. Und da war Willi ziemlich sicher gewesen, dass das mit dem Wunder schon klappen würde.
Erst als der Rammelmann mit der Honda DAX die Anneliese geschwängert hatte, waren Willi Zweifel gekommen. Da hatte er aufgehört, mit der Heiligen Mutter zu sprechen und die Gebote zu befolgen und hatte jedem, der ihn einen Depp nannte, eine aufs Maul gehauen. Und siehe da – plötzlich hatte die JVA doch Interesse an ihm gezeigt!
Vier Jahre durfte er eine Sieben-Quadratmeter-Zelle in dem preußisch-schlichten Bau beziehen.
Heute noch reichte der Marsch am Zaun entlang aus, um Willi das Rasseln der Schlüssel, das Rummsen hinter ihm zufallender Türen und die knallenden Riegel wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Kommissarin Lara Simonis blinzelte in den Regen. Die Scheibenwischer ihres Dienstwagens verschmierten eher die Sicht, als dass sie für Klarheit sorgten. Und gleich würde sie vollkommen durchnässt werden, denn in der Eile hatte sie natürlich nicht an einen Schirm gedacht. Lara knirschte mit den Zähnen.
So ein Mist! Der erste Mord seit Jahren in Werl fiel in ihre Schicht bei der Kriminalbereitschaft und sie hatte fast eine Stunde gebraucht, um den Tatort überhaupt zu erreichen. Mehr als genug Zeit für den Kollegen Krämermeier, um die Ermittlungen an sich zu reißen und ihr die Praktikantinnenarbeit zuzuschieben. Sie hatte es vergeigt.
Endlich tauchte vor ihr am Waldrand der Tatort auf, den Krämermeier ihr vorhin bei der Alarmierung durchgegeben hatte: die Pension Adler.
Lara parkte ihren Dienst-Vectra neben dem Bonzen-BMW, den sich Krämermeier vom gut betuchten Papa seiner gerade volljährigen Ehefrau bezahlen ließ. Noch bevor Lara die Wagentür öffnete, kam Krämermeier aus dem Haus und blieb mit einem zufriedenen Grinsen unter dem Vordach der Pension Adler stehen. Wütend wickelte sie sich in ihre Jacke und stieg aus.
»Schön, dass Sie doch noch kommen konnten«, begrüßte Krämermeier sie sarkastisch.
Pffft!, ärgerte sich Lara. Krämermeier konnte ja mal versuchen, Pfingstsonntag um acht Uhr morgens einen Baby sitter aufzutreiben. Doch sie würgte die Bemerkung herunter. Denn Krämermeier und seine sieben männlichen Kollegen hatten nicht gerade enthusiastisch reagiert, als Lara die frei gewordene Stelle des berenteten Kommissars besetzte. Sie war eine Frau, schlimm genug, doch außerdem war sie eine neumodische Rabenmutter, die nach nur einem Jahr Elternzeit in den aktiven Dienst zurückkehrte. Und sie hatte auf einer Vollzeitstelle bestanden, statt sich mit zehn Stunden die Woche als gut bezahlte Tippse zufriedenzugeben.
»Hier entlang, Frau Kollegin.« Krämermeier verbeugte sich spöttisch. »Darf ich Ihnen zeigen, womit wir uns die Wartezeit während Ihrer Abwesenheit vertrieben haben?«
Mit der Anneliese hatte sich einiges geändert in Willis Leben. Sie wartete auf ihn, wenn er zu Muttern in ihr Salzarbeiterhäuschen heimkam. Um eine eigene Wohnung hatte Willi sich nie bemüht – warum auch, wenn Muttern für ihn kochte und ihm seine Wäsche wusch? Die meiste Zeit war er ohnehin mit der Boxbude unterwegs – und verdiente mit dem Axel Geld.
Doch der Axel, wie Willi seine rechte Faust frei nach seinem Idol Axel Schulz getauft hatte, der Axel verdiente nun mal nicht
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