Kalifornische Sinfonie
einen Löffel und so etwas wie eine Uhr.«
John verließ leise das Zimmer. Draußen tauchte er den Eimer in den Brunnen, füllte den Wasserkrug und holte danach einen Löffel aus dem Eßzimmer. Obwohl er sich bemüht hatte, so leise wie möglich zu gehen, öffnete sich, als er zurückkam, eine Tür und in ihrem Rahmen erschien Charles. Der Ranchero war völlig angekleidet; er sah aus, als habe er in den letzten Nächten wenig geschlafen.
»Wer schleicht hier herum?« sagte er. »O John! Ich dachte, Sie wären auf Ihre Ranch zurückgekehrt.« Es hörte sich an, als sei er über Johns neuerliches Auftauchen nicht gerade erfreut.
»Ich war in Los Angeles«, entgegnete John. »Ich habe eine Freundin Miß Garnets geholt; sie braucht sorgsame Pflege.«
»Was heißt das?« sagte Charles, unangenehm überrascht. »Sie hat zwei Frauen zur Pflege bekommen. Und ich muß Ihnen sagen, John, daß ich im Augenblick nicht gern Fremde auf der Ranch habe.«
Charles machte keinerlei Anstrengungen, seine Stimme zu dämpfen, und John sah jetzt, daß er in der Eile vergessen hatte, die Tür zu Garnets Zimmer zu schließen. Er sprach mit gedämpfter Stimme:
»Hören Sie zu, Charles, Miß Garnet ist sehr ernsthaft krank. Ich halte es für nötig, daß sie eine amerikanische Frau um sich hat. Deshalb habe ich ihre Freundin hergeholt.«
»Eine amerikanische Frau?« sagte Charles Hale gedehnt; »ich wüßte nicht, daß sich irgendwo in dieser Gegend eine amerikanische Frau aufhielte.«
»Es ist Miß Florinda Grove. Sie kam im vergangenen Sommer mit unserem Treck hierher.«
»John!« rief Charles mit nun kaum noch verhüllter Wut. »Wollen Sie im Ernst sagen, Sie hätten die Person hierhergebracht, die Penrose aus Santa Fé mitbrachte?«
»Ich möchte Ihnen empfehlen, Ihre Stimme etwas zu dämpfen«, knurrte John. »Sie brauchen die Frau weder zu sehen noch mir ihr zu sprechen.«
Der Korridor wurde durch den schwachen Lichtschein, der aus Garnets Zimmer drang, etwas erleuchtet. John konnte Charles’ Gesichtsausdruck nur undeutlich erkennen, aber das war auch nicht nötig; er wußte auch so, was jetzt in diesem Manne vorging. Charles Hale gab eine seiner beliebten Vorstellungen. Er spiegelte sich in seiner eigenen Rechtschaffenheit. John hatte große Mühe, den in ihm kochenden Zorn zu besänftigen; er sagte: »Lassen Sie mich jetzt vorbei, Charles. Wir können morgen weiter darüber sprechen.«
»Was hier zu sagen ist, kann auch sofort gesagt werden«, knirschte Charles und pflanzte sich dicht vor John auf. »Ich habe seinerzeit bemerkt, daß einige Prostituierte dem Treck nach Los Angeles folgten. Aber ich wußte nicht, daß Oliver seiner Frau erlaubt hatte, mit diesen – Damen Bekanntschaft zu schließen. Hier sind wir jedenfalls nicht beim Treck. Hier befinden wir uns in meinem Haus. Und ich denke nicht daran, irgendeiner kichernden Dirne zu erlauben, hier ihren Wohnsitz aufzuschlagen. Also – machen wir es kurz. Wo ist die Person?«
»Hier, Mr. Hale. Hier bin ich.«
Florinda war aus Garnets Zimmer herausgetreten; sie schloß jetzt leise die Tür hinter sich; es wurde stockdunkel im Flur. Durch die Dunkelheit drang Florindas leise, aber feste und sichere Stimme: »John hat es für richtig gehalten, mich hierherzubringen, Mr. Hale. Er war nach Los Angeles geritten, um Texas zu holen, aber Texas war seit Tagen betrunken; deshalb kam ich an seiner Stelle. Bitte, lassen Sie mich hierbleiben. Ich werde Ihnen keinerlei Unannehmlichkeiten bereiten.«
Charles sagte eisig: »Mrs. Hale bedarf Ihrer Dienste nicht.«
»O ja, deren bedarf sie wohl, Mr. Hale. Wenn Sie mich freilich zwingen, dieses Haus zu verlassen, wird sie nichts mehr benötigen als einen Sarg.« Sie sprach noch immer so leise, daß Garnet sie durch die geschlossene Tür nicht hören konnte, aber sie sprach laut genug für Charles. »Dann aber werden zwei Menschen in diesem Sarg liegen, und der eine wird das Kind Ihres Bruders sein. Man sagte mir, Sie hätten Ihren Bruder geliebt. Nun, das Kind, das seine Frau trägt, ist alles, was er Ihnen zurückließ.«
Charles stieß einen trockenen, röhrenden Laut aus; er kam tief aus der Kehle. Aber er beherrschte sich schnell.
»Ich möchte Sie bitten, hier keine Dinge zu diskutieren, die Sie nichts angehen«, versetzte er. »Und ich möchte Sie ferner ersuchen, dieses Haus mit Tagesanbruch zu verlassen.«
»Florinda wird das Haus nicht verlassen«, sagte jetzt John; »sie wird hierbleiben, bis Miß Garnet außer Gefahr
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