Kalifornische Sinfonie
lassen?«
»Ja«, sagte er da, »ich werde dich gehen lassen, Garnet.«
Da überkam es sie; es brach in ihr auf, sie wußte nicht, woher; Tränen stürzten ihr aus den Augen. Er legte ihr sacht den Arm um den Hals, und sie barg den Kopf an seiner Schulter. Er führte sie zu einem Sessel und setzte sich neben sie auf die Lehne. Während er ihre Hände hielt, sagte er ihr, woran er gedacht habe. Garnet hörte ihm zu, erstaunt, fast ein wenig befremdet. Schließlich sagte sie:
»Glaubst du, ich hätte etwas davon mitbekommen? Aber du hast es auch nicht.«
»Ich fürchte: nein, Garnet«, sagte er.
»Doch.« Sie sah ihn an und lächelte. »Du hast es in dir. Hättest du es nicht, würdest du mich jetzt nicht verstehen. Du bist wundervoll, Vater. Ich liebe dich sehr!«
Es gab eine lange Pause. Dann sagte der Vater: »Geh nun in dein Zimmer, Garnet. Ich will mit deiner Mutter sprechen.«
Als Garnet die Treppen hinaufstieg, fühlte sie den schnellen und harten Schlag ihres Herzens. Vater hatte ›ja‹ gesagt! Ihr Zimmer war warm und anheimelnd. Die Vorhänge vor den beiden Fenstern hatten Blumenmuster. Die Fenster gingen auf den kleinen Garten hinaus, der sich zwischen dem Haus und dem Nachbargrundstück erstreckte. Das Bett hatte gedrechselte Mahagonipfosten und die gleichen Vorhänge wie die Fenster. An den Wänden hingen Blumendrucke in ovalen Rahmen. Über der Kommode befand sich ein Spiegel und an der Wand über dem Waschtisch war ein weißer Leinwandschoner angebracht, um die Tapete vor Seifenspritzern zu schützen.
Im Kamin brannte ein Feuer. Es gab Leute, die es närrisch und extravagant fanden, ein Schlafzimmer zu heizen. Mrs. Cameron war nicht dieser Meinung. Garnets Urgroßvater hatte in Valley Forge vornehm gefroren. Aber Pauline fand, das sei kein Grund, daß Garnet in New York auch frieren müsse, wenn ihr Vater imstande war, Kohlen zu kaufen.
Garnet setzte sich auf ein Fußkissen am Kamin. Sie fragte sich, wie es wohl sein möchte, wochenlang im Freien zu leben, und was für eine Art Männer die anderen Präriehändler wohl seien. Sie würde mit Oliver in diesem Sommer nach Kalifornien gehen. Sie würde den Winter mit Olivers Bruder Charles auf dessen Ranch verbringen und im nächsten Sommer zurückkommen. Sie würden New York erst im Oktober oder November des nächsten Jahres wieder erreichen. Dann würde sie ein Jahr und acht Monate weggewesen sein. Manche ihrer Freunde würden inzwischen Europa besucht haben. Aber das war gar kein Vergleich. Jedermann konnte nach Europa gehen. Sie allein würde am Ende der Welt gewesen sein. Vor der Tür wurden Schritte laut. Die Mutter kam herein, und Garnet stand auf.
Pauline nahm ihre Hände; sie sagte kein Wort. Sie stand nur da und sah Garnet in die Augen, lange und tief. Schließlich sagte Garnet: »Hat Vater es dir gesagt?«
»Ja, Liebe, er hat es mir gesagt.« Paulines Zähne gruben sich für einen Augenblick in der Unterlippe fest. Aber als sie dann weitersprach, war ihren Worten keine Erregung anzumerken: »Garnet, Liebling, liebst du ihn so sehr?«
Garnet nickte; sie lächelte still.
»Und du willst wirklich mit ihm nach Kalifornien gehen?«
»Ja, Mutter, ich will es; es ist wundervoll!«
»Ja«, sagte Pauline, »ich verstehe es. Komm, setz dich zu mir, Garnet.« Sie zog sich einen Sessel heran, und Garnet nahm wieder auf dem Fußkissen Platz. Pauline hielt ihre Hand. »Ich möchte, daß du glücklich wirst, Garnet«, sagte sie, »ich möchte nichts als dein Glück.«
Jetzt war ein leises Beben in ihrer Stimme; Garnet sah erstaunt auf. Mutter neigte doch gar nicht zu Rührseligkeiten, sie war immer geschäftig und guter Dinge. Aber nun standen Tränen in ihren Augen.
»Mutter!« rief Garnet, »du weinst?«
Pauline nahm ihr Taschentuch und wischte die Tränen von den Wangen. »Ich fürchte fast«, sagte sie, »es tut mir leid, ich wollte nicht mehr weinen. Nur – es ist so entsetzlich weit weg, wohin du ziehen willst, Garnet.«
Garnet schlang ihr die Arme um den Hals. »Mutter«, flüsterte sie, »du bist so gut! Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich glaube, viele Mütter würden jetzt an deiner Stelle erregt hin-und hergehen und jammern und schreien. Du tust das alles nicht.«
»Nein, Garnet, und ich werde das auch ganz gewiß nicht tun«, sagte Pauline. »Du hast von deinem Vater gehört, wie schwer wir es damals hatten, als wir heiraten wollten. Wir lachen heute darüber, aber damals war es kein Spaß. Ich liebte meine Eltern.
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