Kalifornische Sinfonie
ihr Leben gebracht bis zu dem Tage, da Garnet erklärte, mit einem fremden jungen Mann bis ans Ende der Welt gehen zu wollen.
Sie waren erschrocken und ratlos. Aber Garnet sagte, sie liebe diesen Mann. Sie zeigte sich fest entschlossen und war durch nichts zu erschüttern. Und die Eltern erinnerten sich recht gut daran, was es heißt, sich entschlossen zu haben, wenn man sich liebt.
»Es ist einmal so«, sagte der Vater schließlich. »Wenn sie ihn liebt, soll sie ihn auch heiraten. Aber muß sie deshalb diese entsetzliche Reise machen? Muß Oliver noch einmal nach Kalifornien zurück, so kann er schließlich auch allein reisen.«
Garnet protestierte heftig und Oliver lachte über Mr. Camerons Befürchtungen. War Garnet nicht ein gesundes, kräftiges Mädchen? Er wollte nicht mehr zwei Jahre auf sie warten; er wollte sie mitnehmen und sie wollte ja auch mit. Ja, wenn sie selbst nicht mitwollte – aber sie wollte ja; sie gehörte zu den Mädchen, die sich vor Gefahren und Unbequemlichkeiten nicht fürchten, und eben deshalb liebte er sie. Eines Tages – die Dinge mußten nunmehr entschieden werden – ging Mr. Cameron mit seiner Tochter beiseite. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr gerade in die leuchtenden Augen.
»Du liebst ihn sehr, Garnet?« sagte er ernst.
»Ja, Vater«, sagte sie ruhig.
»Du bist deines Herzens ganz sicher?«
»Ganz sicher, Vater. Was denkst du denn?«
Er lächelte ein bißchen hilflos. »Ich frage mich«, sagte er, »ob du Oliver liebst oder – Kalifornien.«
»Vater – was fällt dir ein! Ich würde ihn auch heiraten, wenn er mit mir nach Smolensk ginge.«
»Das denke ich mir«, sagte Mr. Cameron, »aber würdest du ihn auch heiraten, wenn er dich nur in das Haus nebenan führte?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Garnet sah ihn unverwandt an. »Ich liebe ihn, Vater. Und ich weiß, was ich sage. Ich hätte ja oft heiraten können, Gelegenheit dazu hatte ich genug. Aber ich liebte keinen der Männer, die mich haben wollten. Ich hatte keine zwei Minuten nötig, um das sicher zu wissen. Aber ich liebe Oliver.« Tränen traten in ihre Augen. »Verstehst du das denn nicht?« sagte sie.
Er verstand es. Er verstand es sehr gut. Aber er fragte weiter:
»Willst du nicht warten, bis er im nächsten Jahr wiederkommt?« Garnet schüttelte heftig den Kopf.
Horace Cameron atmete einmal lang und schwer. Er hatte nie in seinem Leben gewünscht, an das Ende der Welt zu gehen. Er hatte alles, was er wollte: eine bezaubernde Frau, sein Heim, seine angesehene Stellung bei der Bank und die ruhige Sicherheit eines wohlgeordneten Lebens. Auch Pauline hatte, was sie wollte; hundertmal und öfter hatte er gehört, daß sie sich selbst eine glückliche Frau nannte. Was steckte in Garnet? Wieso zog es sie zu so ganz anderen Dingen? Ich verstehe es nicht, dachte er. Aber während er noch darüber nachdachte, wußte er, daß er es sehr wohl verstand.
Er gedachte der Menschen, die vor ihm und Pauline da waren. Sie waren ihm keine sehr lebendige Vorstellung, nicht viel mehr als Reihen von Namen in vergilbten Familienbibeln oder bemooste Grabsteine auf alten Friedhöfen. Und doch waren sie alle einmal lebendige Menschen gewesen: Hugenotten, schottische Freikirchler und englische Piraten, welche die Küste der amerikanischen Kolonien unsicher machten, bis sie alt und tugendhaft wurden und sich friedlich niederließen. Sie waren seinerzeit in die Wildnis gezogen, um das Wort Gottes auszubreiten oder um ihrem eigenen Leben neue Möglichkeiten zu erschließen. Heute wurden sie als Helden gefeiert. Horace hatte sich oft gefragt, ob Leute, die nach ihrem Tode Helden genannt wurden, zu ihren Lebzeiten nicht vielleicht große Nichtsnutze gewesen seien.
All diesen Menschen aber war etwas eigentümlich gewesen. Sie hatten über Kraft, Trotz und Wagemut verfügt. Es mochte wohl sein, daß Eigenschaften dieser Art durch die Generationen weiterwirkten. Daß sie zeitweise schliefen, wie bei ihm und Pauline, um dann wieder in einer neuen Generation aufzuleben. Amerikaner waren so, sie wären anders keine Amerikaner geworden. Ihre Vorfahren wären in Ruhe und Sicherheit zu Hause geblieben. Horace und Pauline hatten ihr eigenes Leben gelebt, sie hatten nicht gewußt, was in ihnen lag; nun brach das alte Erbe wieder auf und forderte die Tochter von ihnen.
Garnet wußte nicht, woran ihr Vater dachte; sie wurde unruhig über seinem Blick. Schließlich fragte sie leise:
»Wirst du mich gehen
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