Kalifornische Sinfonie
bedeckten. Sie trocknete die Hände am Bettlaken und schrieb weiter: »Gott sei Dank erfreue ich mich, wie immer, ausgezeichneter Gesundheit. Olivers Bruder ist die Freundlichkeit selbst; ich habe hier ein sehr angenehmes Zuhause. Macht Euch also meinetwegen keine Sorgen. In Liebe und Dankbarkeit Eure Garnet.«
Die Feder fiel ihr aus der Hand und rollte auf den Fußboden; sie selbst fiel in die Kissen zurück und atmete schwer. Tränen traten ihr in die Augen und mischten sich mit dem Schweiß. Es war ihr, als sei mit diesem Brief die letzte Bindung zwischen ihr und der Heimat zerrissen. Sie fand, so müsse sich ein Schiffbrüchiger fühlen, der, an der Küste einer entlegenen Insel stehend, das Schiff sinken sah, das ihn hierhergetragen. »Lesen Sie, John«, flüsterte sie. »Kann man den Brief so absenden?«
John nahm sein Taschentuch heraus und wischte ihr Schweiß und Tränen aus dem Gesicht. Dann nahm er den Brief.
»Aber ja«, sagte er, nachdem er die Zeilen überflogen hatte, »es ist eine wunderhübsche Lügengeschichte. Ich werde schon morgen nach Los Angeles reiten; der Treck wird in wenigen Tagen aufbrechen.« Er steckte den Brief in die Tasche und ging zur Tür. »Sie haben verdammt viel Mut, Garnet«, warf er über die Schulter zurück.
***
Während John nach Los Angeles ritt, blieb Nikolai Grigorievitch bei Florinda, um ihr bei Garnets Pflege zu helfen. »Solange ich hier bin, Charles wird sich hüten, Florinda fortzujagen«, sagte der Russe. »Ich könnte ihn brechen mit zwei Händen in Stücke.« Er sagte das mit so charmanter Einfalt, daß Garnet lachen mußte, obgleich ihr gar nicht nach Lachen zumute war.
Nikolai Grigorievitch erwies sich als ausgezeichneter Krankenpfleger. Bei all seiner riesigen Kraft konnte er sacht und zart sein wie eine Frau. Er konnte stundenlang hintereinander an Garnets Bett sitzen und erzählen. Oliver erwähnte er nicht mehr. Aber er wußte zahllose amüsante Geschichten von Händlern und Kaufleuten und von Yankee-Matrosen, die nach Los Angeles kamen. Dann wieder konnte er leise und zart, in einem Englisch, das sich immer mehr abschliff, davon reden, wie sehr er ihre große Einsamkeit in dem fernen Land nachfühlen könne, sei er doch selbst lange Zeit sehr einsam gewesen. Zuweilen lachte Garnet über seine Späße, dann wieder ließ sie ihren Tränen freien Lauf, und Nikolai Grigorievitch schien immer genau zu wissen, wie ihr zumute war und wie er sich geben müsse. Als sie ihn einmal seines guten Englisch wegen lobte, sagte er, er habe sich absichtlich sehr viel Mühe gegeben; vielleicht brauche er es bald. Denn es könne sein, daß sehr bald viele Amerikaner nach Kalifornien kämen. Sie fragte, wie er das meine; und um sie von ihren eigenen Gedanken abzulenken, erzählte er ihr, was er von den Dingen wußte, die sich inzwischen in der Welt ereignet hatten.
Die Kalifornier, meinte er, seien mit ihrer gegenwärtigen Regierung gar nicht einverstanden. Die Gesetze, nach denen sie leben sollten, seien von ein paar mexikanischen Granden in Mexiko City ausgedacht worden, und diese Leute wüßten nicht das geringste von den kalifornischen Verhältnissen. »John hat mir erzählt, wie Georg III. von England sich benommen hat«, sagte er; »haben Sie davon gehört?«
Doch, entgegnete Garnet, das habe sie. So töricht also hätten sich die mexikanischen Granden in der Kalifornienfrage benommen?
»Ja«, antwortete Nikolai Grigorievitch, »ich glaube, das taten sie. Mexiko City ist entfernt von Los Angeles an die zweitausend Meilen; die Leute dort waren nie hier, aber sie meinen, sie wüßten mehr von dem Land als die Eingesessenen. Sie machen Gesetze, aber sie wissen nicht einmal für wen. Und sie senden Gouverneure, die nicht einmal den Namen Kalifornien kannten, als sie abreisten. Da sind Gesetze, die sind so verrückt, daß niemand daran denkt, sich zu richten danach. Und da sind Verordnungen und Regeln, die hemmen den Handel und belästigen jedermann und helfen niemand.«
Florinda, die, auf der Wandbank sitzend, zugehört hatte, ließ ein kleines böses Lachen hören. »Erzählen Sie mir nichts von diesen Gesetzen«, sagte sie. »Es ist verboten, amerikanischen Whisky einzuführen, aber wir müssen ihn haben und wir bekommen ihn auch. Und es ist dazu nichts weiter nötig, als ein paar Beamte dafür zu bezahlen, daß sie nichts sehen.«
Nikolai erzählte, was er von diesen Dingen wußte. Es bestanden allerlei Gesetze und Verordnungen in Kalifornien, aber kein Mensch
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