Kalifornische Sinfonie
reden höre, weiß ich wahrhaftig nie, ob ich lachen oder weinen soll.«
»Warum Sie wollen weinen?« lachte Nikolai. »Weinen Sie überhaupt? Ich weiß: Sie weinen nie.« Er maß sie über die flackernde Kerze hinweg mit einem gedankenvollen Blick. Sie saßen am Tisch in Garnets Wohnzimmer. »Warum weinen Sie nie, Florinda?« fragte er.
»Warum, zum Teufel, sollte ich denn weinen, Sie großer Ochse?« sagte Florinda.
»Ich weiß nicht«, sagte Nikolai. »Aber ich weiß: Es ist nicht gut, alles in sich zu verschließen, wie Sie es tun.«
»Oh, gehen Sie zur Krippe und fressen Sie Heu!« sagte Florinda.
Aber obwohl sie tat, als lache sie über ihn, sprach sie doch freier und offener zu ihm als zu den meisten anderen Menschen. Und eines Abends erzählte sie ihm von dem norwegischen Seemann, der ihr Vater war. Nikolai Grigorievitch war entsetzt. Florinda bemerkte zynisch, wenn er so viel vom Leben wüßte wie sie, würde er nicht so überrascht sein. Nur wenige Menschen seien gut, und sehr viele Kinder wüchsen ohne Liebe auf.
Der Russe schüttelte den Kopf. »Aber Ihre Mutter«, sagte er, »sie liebte Sie doch?«
Florinda dachte einen Augenblick nach. »Nicht sehr viel, glaube ich«, sagte sie nach einer Weile zögernd. »Oh, sie liebte mich in einer besonderen Art – ich war alles, was sie hatte, aber ich sah ihm so ähnlich. Ich war ein ganz kleines Mädchen, da ergriff sie mich manchmal bei den Schultern und starrte mich an, als vermöge sie nicht zu glauben, was sie sah.«
»Und Sie? Fühlten Sie sich unglücklich?« fragte Nikolai.
»Gott, ja, manchmal schon. Ich war traurig, weil ich ein Kind war, das sie nicht haben wollte, statt eines Mannes, nach dem sie sich sehnte. Ich ärgerte mich, daß ich aussah wie er und doch nicht er sein konnte.«
Der Russe dachte nach. »Ist das der Grund, warum Sie so oft in den Spiegel sehen?« fragte er nach einer Weile.
»Ich sehe in den Spiegel, weil mir gefällt, was ich darin sehe, Sie Narr!« lachte Florinda. »Aber was meinen Sie?«
»Ich meine – Ihre Mutter sagte, Sie sähen aus wie Ihr Vater. Und sie sagte weiter, Ihr Vater sei ein schlechter Mann. Vielleicht – Sie schämten sich, weil Sie so aussahen. Später sagten dann die Leute, Sie seien schön. Da waren Sie überrascht, aber es freute Sie. Und es freut Sie noch.«
Florinda schürzte die Lippen. »Vielleicht«, sagte sie achselzuckend. Dann lachte sie ihn an. »Egal, woher ich mein Gesicht habe«, sagte sie, »es gefällt mir jedenfalls. Ich glaube, ich bin wirklich ziemlich hübsch.«
»Oh«, sagte der Russe, »Sie sind schön – sehr schön.« Er sagte das so unpersönlich, als spräche er von einer Landschaft oder von einem Bild. Sie lachte ihn wieder an.
Ein paar Abende später offenbarte Nikolai Grigorievitch ihr, daß er beabsichtige, nach Rußland zurückzukehren. Eines Tages, bald schon, werde er eines der russischen Pelzschiffe besteigen und in seine Heimat zurückkehren, sagte er.
»Und Sie wollen ganz dort bleiben?« fragte Florinda.
»Ich weiß nicht«, antwortete er. »Vielleicht – es gefällt mir nicht dort. Aber ich möchte das Land wiedersehen.«
»Es wird Ihnen fast fremd sein.«
»Ja, es wird sein sehr fremd. Ich ging weg, da war ich acht Jahre alt. Jetzt bin ich siebenundzwanzig. Sehr lange Zeit.«
Florinda trank Schokolade, die er ihr aus der Küche geholt hatte. »Erinnern Sie sich noch an Einzelheiten aus Rußland?« fragte sie.
»O ja. Aber ich weiß, es gibt dort vieles, an das ich mich nicht erinnere. Ich sehe vor mir den vielen Schnee, und ich sehe unser Haus auf dem Land und unser Haus in St. Petersburg. Manchmal sehe ich vor mir auch meine Mutter.«
Im flackernden Kerzenlicht erschien sein Gesicht sehr ernst, aber in seinen veilchenblauen Augen war ein ferner, sehnsüchtiger Schimmer. Florinda stellte lächelnd ihre Tasse hin. »Ihre Mutter muß gut gewesen sein«, sagte sie leise.
»Ja, das war sie.« Auch Nikolai lächelte jetzt.
»Erzählen Sie von ihr. Wie sah sie aus?«
»Oh, sie war groß, und sie hatte blaue Augen und helles, leuchtendes Haar. Ich sehe sie vor mir, wie ich war noch ein ganz kleiner Junge. Sie kam zu mir und wollte mir sagen gute Nacht. Sie gingen, Vater und Mutter, oft zu Gesellschaften, und sie waren immer sehr fröhlich. Und ich sehe den Schnee draußen vor meinem Fenster; das Licht fiel hinaus und der Schnee glitzerte. Mutter lehnte sich über mein Bett, sie trug weißen Pelz und Juwelen im Haar, und um sie herum war ein
Weitere Kostenlose Bücher