Kalifornische Sinfonie
sich gute Nacht. Nick war schon im Begriff zu gehen, als Florinda ihn zurückrief. »Bitte, nehmen Sie die Schüsseln hier mit«, sagte sie. »Ich darf den Käfig nicht verlassen.«
Er nahm die Schüsseln. Als er die Hand auf die Türklinke legte, rief sie ihn leise an: »Nick?«
»Ja?«
»Sie sind ein lieber Kerl!«
»Danke«, sagte Nikolai Grigorievitch. Er schloß leise die Tür, und sie warf ihm eine Kußhand nach.
***
John kam aus Los Angeles zurück. Er steckte voller Neuigkeiten. Die Maulesel-Karawane war vor ein paar Tagen nach Santa Fé aufgebrochen, aber Texas war nicht imstande gewesen, mitzuziehen. Er war eines Nachts, von Silkys Bar nach Hause wankend, ausgeglitten, in ein Schlammloch gestürzt und hatte sich das Knie verrenkt. Nun lag er in Los Angeles und konnte sich nicht rühren. John hatte Garnets Brief daraufhin Teufelswanze anvertraut.
Florinda wie Garnet zeigten sich Texas’ wegen sehr besorgt. »Wäre ich dagewesen, hätte das nicht passieren können«, versicherte Florinda aufgebracht; »ich habe immer ein Auge auf ihn gehabt, und wenn er zu betrunken war, um allein nach Hause gehen zu können, habe ich ihm stets einen Boy mitgegeben.«
John suchte sie zu beruhigen. Er meinte, Texas befinde sich in guter Pflege, Señora Vargas, bei der er wohnte, wenn er sich in Los Angeles aufhalte, sei eine mütterliche Seele. Er sei dort gewesen und habe mit Texas gesprochen. Er lachte und sagte zu Garnet gewandt: »Texas läßt Sie grüßen und läßt Ihnen bestellen, daß er zur Stelle sein wird, wenn Sie ihr Baby erwarten. Er hat geschworen, sich während dieser Zeit nüchtern zu halten, um Ihnen behilflich zu sein.« John wußte auch über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten Neues zu berichten. Im Norden des Landes war irgend etwas im Gange; die wildesten Gerüchte schwirrten umher. Auf der Wandbank in Garnets Zimmer sitzend, erzählte John, was er wußte. Danach hatte das anmaßende Verhalten eines amerikanischen Armeeoffiziers John Charles Frémonts, den Konflikt ausgelöst.
Frémont war schon einmal, vor etwa drei Jahren, in der Nähe Kaliforniens gewesen, damals als Führer einer amerikanischen Expedition, die ausgesandt worden war, um die günstigste Route nach dem nördlich von Kalifornien gelegenen Oregon-Gebiet zu erforschen. Er hatte sich damals als ausgezeichneter Pfadfinder und guter Kenner der Verhältnisse erwiesen. Aus diesem Grunde war er jetzt von der USA-Regierung abermals nach Oregon geschickt worden, um die Voraussetzungen für größere Siedlungsmöglichkeiten zu prüfen.
Statt nun unmittelbar nach Oregon zu ziehen, hatte Frémont diesmal zunächst den Norden Kaliforniens aufgesucht, um seinem Expeditionskorps dort ein paar erholsame Tage zu verschaffen und Vorräte einzukaufen. So weit war alles in Ordnung. Aber dann hatte es plötzlich allerlei Schwierigkeiten gegeben. Einem eingesessenen Ranchero waren Pferde gestohlen worden, angeblich von Leuten Frémonts; ein anderer Mann seiner Truppe wurde beschuldigt, der Tochter eines Rancheros ungehörige Anträge gemacht zu haben. Dieser Ranchero war aber mit Don José Castro, dem Militärkommandanten von Kalifornien, verwandt. Der wutentbrannte Castro hatte Frémont daraufhin befohlen, unverzüglich mit seinem gesamten Expeditionskorps den Boden Kaliforniens zu verlassen. Frémont ignorierte den Befehl und zog sich mit seiner Truppe auf den Gavilan Peak zurück, auf dessen Höhe er ein Lager errichtete und verschanzte. Über dem Lager hißte er das Sternenbanner.
John zuckte ironisch lächelnd die Achseln, während er weiter berichtete. »Frémont scheint einer dieser Kerle zu sein, die so lange brauchbare Arbeit leisten, wie sie selber befehlen dürfen, die es aber nicht ertragen, ihrerseits Befehle von anderen entgegenzunehmen«, sagte er. »Castro hatte unzweifelhaft das Recht, Frémont und seine Männer des Landes zu verweisen, wenn diese sich ungebührlich benahmen. Außerdem befanden sich die Amerikaner auf mexikanischem Territorium, und Frémont hatte keinerlei Recht, hier eine fremde Flagge zu hissen. In Konsequenz dieser Entwicklung hatte Castro nun gedroht, das Lager auf dem Gavilan Peak zusammenzuschießen.«
»Kam es schon zum Kampf?« fragte Florinda.
»Nein«, antwortete John, »aber das ist nicht Frémonts Verdienst. Glücklicherweise ist der amerikanische Konsul, Mr. Larkin, ein kluger und vernünftiger Mann. Er ging persönlich zu Castro, rückte von dem Vorgehen Frémonts ab und entschuldigte sich
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