Kalifornische Sinfonie
Guthabenbons, ausgezeichnet zurecht. Als sie diese Nacht das Schlafzimmer betrat, sagte Garnet ihr, daß sie beabsichtige, Mr. Abbott aufzusuchen. Florinda nickte.
»Das wird gut sein«, sagte sie, »ich verstehe das. Es ist schlimm, wenn man nicht weiß, was man besitzt. Ich werde dich begleiten – José kann derweil die Bar übernehmen – ich brauche ohnehin ein Paar neue Schuhe.«
Garnet saß auf der Wandbank nahe dem Fenster und sah nach den Sternen. Sie sah den Großen Bär, und ihr fiel ein, wie ihr Vater ihr das Sternbild zum erstenmal gezeigt hatte; da war sie noch ein ganz kleines Mädchen gewesen. Der Gedanke schuf ihr ein Gefühl schmerzlichen Heimwehs. Sie sagte, zu den Sternen aufblickend:
»Ich wollte, mein Kind wäre nicht dazu verurteilt, als Fremdling geboren zu werden.«
Florinda war damit beschäftigt, ihre Schmutzwäsche in einen Korb zu packen, den sie Isabel am nächsten Tag geben wollte. »Es ist eine verdammte Schmach, irgendwo bleiben zu müssen, wenn man nicht will«, sagte sie.
»Ich glaube, ich habe nie viel über mein eigenes Leben nachgedacht«, sagte Garnet. »Der vierte Juli war früher in New York für mich immer nur der Tag der großen Feuerwerke. Irgendwo auf einer Plattform stand dann ein fetter Mann und verlas die Unabhängigkeitserklärung. Hier draußen wird der vierte Juli wie jeder andere Tag vorübergehen, und – Sie hielt ein. »Verzeih!« sagte sie, »solche Gedanken tun uns beiden nicht gut.«
»Du kannst grundsätzlich jederzeit nach New York zurückkehren«, sagte Florinda.
»Ja, gewiß. Vielleicht kann ich den Kapitän irgendeines Klippers dazu bewegen, mich als Passagier mitzunehmen. Pflegen diese Schiffe Frauen mitzunehmen?«
»Manchmal schon. Vor einiger Zeit hatte ein Kapitän seine Frau mit an Bord. In einem solchen Fall könnte gegen eine zweite Frau kaum etwas eingewandt werden. Außerdem wäre die Kapitänsfrau wahrscheinlich ganz froh, weibliche Gesellschaft zu haben.«
»Ich würde in diesem Fall gern alles hergeben, was ich habe«, sagte Garnet. Und nach einer kleinen Pause: »Würdest du mit mir kommen?«
»Nein, Liebe«, antwortete Florinda.
Garnet sagte nichts mehr. Aber wie sie so dasaß, auf die Sterne blickte und an ihr fernes Zuhause dachte, da füllten sich ihre Augen mit Tränen.
Am nächsten Morgen gingen sie zu Mr. Abbott. Garnet trug eines ihrer mexikanischen schwarzen Kleider, und Florinda hatte ihr gezeigt, wie sie einen Streifen schwarzer Seide über den Kopf drapieren mußte. Die Kalifornier nannten das Rebozo. Es war ein strahlender Mittsommertag. Sie gingen auf Pfaden, die kreuz und quer durch den wilden Hafer getreten waren, und bahnten sich ihren Weg zwischen den Häusern. Hunde und Kinder tobten überall herum, und hin und wieder mußten sie zur Seite treten, um einen Reiter passieren zu lassen. Sie gingen zehn Minuten, aber der Weg machte so viele Windungen, daß Garnet sich immer wieder umsah, um festzuhalten, in welcher Richtung sie sich bewegten. Auf der Veranda von Mr. Abbott’s Laden lagen Stapel von Häuten. Garnet verzog das Gesicht, als ihr der Geruch in die Nase stieg.
»Wenn jemand dir in New York gesagt hätte, woher deine Pumps stammen, – was hättest du gesagt?« wandte sie sich an Florinda.
Die zuckte mit den Achseln: »Wahrscheinlich hätte ich gesagt: ›Wie gut, daß ich da nicht leben muß.‹ O Garnet, es ist eine vortreffliche Einrichtung, daß man nicht vorher weiß, was einem im Leben geschieht. Sei vorsichtig, da ist eine Stufe unter dem Unkraut. Ja, da. Guck, der dicke Mann hinter dem Ladentisch drinnen, das ist Mr. Abbott.«
Mr. Abbott, rund und kahlköpfig, lächelte jovial, als die beiden Damen den Laden betraten.
»Welch eine Ehre!« sagte er. »Wie geht es Ihnen, Miß Florinda?«
»So gut wie dem Unkraut vor Ihrer Tür, danke sehr. Ich möchte Sie mit meiner Freundin bekannt machen: Mrs. Oliver Hale. Sie wollte mit Ihnen eine kleine geschäftliche Angelegenheit besprechen.«
Mr. Abbott sah aus wie ein Mann, der es weit von sich wies, eine irgend vermeidbare Bewegung zu machen. Wenn er sich jetzt trotzdem schwerfällig und mit erheblichem Prusten und Schnaufen aus seinem Sessel herauswälzte, so geschah das zweifellos zu Ehren von Garnets Witwenkleid und ihrem gesegneten Leibeszustand. Er reichte ihr eine große, fleischige Hand und versicherte, wie sehr er ihr tiefes Leid nachzuempfinden wisse. Er zog mit einiger Anstrengung einen Stuhl heran und lud sie ein, Platz zu nehmen.
Garnet
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