Kalifornische Sinfonie
erlebt, wahrhaftig nicht.
Ein Mann betrat den Laden, ein hagerer, hohlwangiger Bursche in einem knallroten Hemd und verstaubten schwarzen Hosen. Mr. Abbott stellte ihn Garnet als Mr. Bugs McLane vor. – Garnet hatte von Mr. Bugs McLane bereits gehört; der Name war in Silkys Bar gut bekannt. Sein Träger unterhielt ein blühendes Geschäft; er brachte Whisky und andere Konterbande von den Schiffen nach Los Angeles. Mr. McLane erklärte, er sei vorbeigekommen, um ein paar Kleinigkeiten mit Mr. Abbott zu besprechen, aber das habe gar keine Eile, nein, durchaus nicht; er warte selbstverständlich, bis Mr. Abbott sein Geschäft mit Mrs. Hale beendet habe. Er werde noch einmal weggehen. Neben der Kirche habe er eine Frau stehen sehen, die heiße Tamalen verkaufe. Wie wäre es: wolle Miß Florinda ihn nicht begleiten, wenn sie die passenden Schuhe gefunden habe? Es wäre ihm eine sehr große Ehre; sie könnten sich dann gemeinsam an den heißen Tamalen erfreuen. Florinda meinte, sie habe ausgesprochenes Verlangen nach heißen Tamalen und sie sei entzückt über die Einladung. »Legen Sie mir die Pumps hier beiseite, Mr. Collins«, sagte sie; »ich bin bald wieder da.« Mr. Bugs McLane reichte ihr galant den Arm, und beide verließen gemeinsam den Laden.
Mr. Abbott plauderte noch ein Weilchen über dies und das, aber schließlich erlaubte er sich, Garnet zu fragen, welch besonderes Geschäft ihm die Ehre ihres Besuches verschaffe. Garnet erwiderte, Mr. Abbott sei doch gewissermaßen Olivers Bankier gewesen. Deshalb sei sie hergekommen, um sich nach dem gegenwärtigen Stand des Kontos zu erkundigen.
»Selbstverständlich, das ist vollkommen klar«, erwiderte Mr. Abbott. Er bat Mr. Collins, ihm doch eben das Hauptbuch herüberzugeben. Während seine dicken Finger die Seiten umblätterten, lächelte er freundlich und väterlich und gleichzeitig respektvoll, ganz wie ein großer Kaufmann, der dabei ist, mit einer reichen und vornehmen Dame einen Handel abzuschließen.
Zwanzig Minuten später dankte Garnet Mr. Abbott für seine Auskunft und erhob sich. Mr. Abbott winkte dem Clerk Collins zu, der aufsprang, um den Arm der Dame zu nehmen und sie bis zur Veranda zu geleiten. Draußen sah Garnet in einiger Entfernung Florinda, Mr. Bugs McLane und mehrere Kalifornier zusammenstehen und heiße Tamalen verzehren. »Würden Sie bitte Miß Grove sagen, daß ich fertig sei und gehen möchte«, bat Garnet den Clerk.
Mr. Collins verneigte sich höflich und entfernte sich in Richtung auf die Gruppe. Garnet stand unter der Veranda und hielt sich mit der Hand an einem der das Dach tragenden Pfosten fest. Sie fühlte, wie das Kind in ihrem Leibe sich regte. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, und zwar vor Schreck, einem Schreck, der nicht weit von Entsetzen war. Mr. Abbott hatte sie mit großer Ehrerbietung behandelt und Mr. Collins war ihrer Bitte nachgekommen, ohne einen Augenblick zu zögern. Und beide hatten sich so verhalten, weil sie überzeugt waren, es mit einer reichen Dame zu tun zu haben. Sie ahnten nicht, was sie eben festgestellt hatte: daß sie nämlich arm war, daß sie kaum noch das Notwendigste zum Leben hatte.
Die Tatsachen waren einfach und klar. Mr. Abbott hatte sie ihr freundlich auseinandergesetzt, ohne im geringsten zu ahnen, was er ihr da sagte. Oliver hatte im vergangenen Sommer sehr viele Waren aus Santa Fé mitgebracht. John hatte sie Mr. Abbott gebracht und Mr. Abbott hatte sie verkauft und den Erlös, nach Abzug seiner Prozente, Olivers Konto gutgeschrieben. Insoweit war alles in Ordnung. Aber dann hatte sie, Garnet, darauf bestanden, daß Oliver Kalifornien für immer verlasse. Da hatte er sein Guthaben bei Mr. Abbott abgehoben, um Maulesel und Waren für den Osttreck einzukaufen. Auf seinem Konto waren nur wenige Dollar stehengeblieben, für den Fall, daß sich in letzter Minute noch die Anschaffung einiger Kleinigkeiten als unerläßlich erweisen sollte. Was Oliver mit seinem Guthaben gemacht hatte, wußte Mr. Abbott natürlich nicht. »Er wird Waren gekauft haben«, sagte er, »Seide, Kaffee, Gewürze und ähnliches vermutlich; ohne Zweifel werden Sie die entsprechenden Aufzeichnungen auf der Ranch vorfinden. Ich glaube, Mr. Charles Hale hat alle diese Dinge in die Hand genommen, um sie für Sie zu erledigen.«
Garnet erinnerte sich an die vielen kleinen Reisen, die Oliver in den letzten Wochen vor seinem jähen Tod unternommen hatte. Sie selbst hatte ihn gebeten, nichts in Kalifornien zurückzulassen,
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