Kalifornische Sinfonie
Er sagte: »Ich verwalte Olivers Vermögen für Olivers Sohn. Wenn er volljährig ist, wird er mein Teilhaber sein.«
»So«, sagte Garnet, »und bis dahin? Was geschieht in der Zwischenzeit?«
»In der Zwischenzeit werde ich das Hale-Vermögen so verwalten, wie ich es für richtig halte«, entgegnete er.
»Oh«, sagte Garnet. »Sie halten mich für zu dumm, den Anteil meines Kindes selbst zu verwalten?« Was soll das eigentlich? dachte sie etwas verwirrt. Warum frage ich das überhaupt? Charles goß sich den Whiskybecher von neuem voll, setzte ihn an und goß den Inhalt hinunter, bevor er antwortete.
»Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten«, sagte Charles. »Glauben Sie, ich würde Ihnen Olivers Vermögen anvertrauen, nach dem Beweis, den Sie von Ihrem Geschmack und Ihren Neigungen geliefert haben? Glauben Sie wirklich, ich würde dulden, daß Sie hierbleiben, um Olivers Kind unter Verbrechern und Dirnen aufzuziehen? Ich habe bessere Pläne mit diesem Kind als Sie.«
Garnet biß die Zähne zusammen. Sie war hungrig und müde, aber im Augenblick war sie sich weder des einen noch des anderen bewußt. Sie fand, Charles sei betrunken noch abstoßender und widerwärtiger als nüchtern. Er trank unausgesetzt weiter, aber noch immer beherrschte er seinen Willen und seine Stimme. Er machte eine neue Anstrengung, sie zu überzeugen.
»Kommen Sie mit mir zurück auf die Ranch, Garnet«, sagte er. »Sie können dort in Sauberkeit, Würde und Bequemlichkeit leben. Der Junge wird seine eigenen Hunde, seine Pferde und seine Diener haben. Er wird sich seine Freunde unter den Kindern der ersten Familien des Landes, Kaliforniern und Amerikanern, wählen können.«
Seine Zunge begann dick zu werden. Das Sprechen fiel ihm schwer. Er würgte die Worte heraus und mühte sich, jede Silbe deutlich auszusprechen, was ihm nicht recht gelingen wollte. Garnet dachte: Es hat keinen Sinn, ihm zu antworten. Mein Kind wird er nicht bekommen.
Charles fuhr fort: »Es gibt auch noch andere Gründe. Es wird Unruhen in Los Angeles geben. Wir stehen hier dicht vor einer Revolte.«
Garnet wußte das. Und wenn sie irgendeine Zuflucht gewußt hätte außer der, die ihr da geboten wurde, sie hätte mit Freuden davon Gebrauch gemacht. Aber auf Charles’ Ranch würde sie nicht gehen. Wenn Charles das Kind einmal in die Hand bekam, würde er es nie wieder herausgeben. Charles beobachtete sie über den Rand seines Bechers hinweg. Seine Augen flackerten, während er sie anzusehen versuchte. Wie sonderbar doch der Alkohol die Gesichter der Menschen verwandelt! Als er jetzt wieder sprach, waren seine Worte kaum noch zu verstehen.
»Sie können natürlich tun, was Sie wollen«, sagte er. »Aber ich wünsche Olivers Kind dort zu haben, wo es hingehört: auf meiner Ranch. Das Kind hat ein Recht und einen Anspruch auf ein anständiges Leben.«
Garnet fuhr auf, vom Zorn überwältigt. »Ein anständiges Leben!« wiederholte sie. »Sind Sie etwa der Meinung, Sie hätten Ihrem Bruder Oliver ein anständiges Leben ermöglicht?« Vielleicht hätte sie das nicht sagen sollen; aber sie konnte sich nicht helfen. Sie ertrug seinen Haß und seine Verachtung nicht mehr und ebensowenig seine Herrschergelüste. Sie war das alles so entsetzlich leid.
»Sie«, knurrte Charles, »Sie sollten verdammt aufhören, über Oliver zu reden.« Seine Hand, die den Becher hob, zitterte. Garnet hörte Silky am anderen Tischende etwas sagen, was mit der Arbeit des nächsten Tages zusammenhing. Dann ging Silky hinaus. Auch Florinda stand auf und ging nach der Tür, die zur Treppe führte. »Rufe mich, wenn du mich brauchst«, sagte sie über die Schulter zurück.
Charles schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Er stierte Garnet an und versuchte seinem benebelten Blick Richtung zu geben. »Oliver war mein Bruder«, raunte er. »Er war mein Bruder, bis – bis Sie kamen.« Seine Stimme klang wie das Grollen eines Tieres. »Sie!« stieß er heraus. »Sie haben ihn überredet, in die Staaten zurückzugehen! Sie sagten ihm, er solle nie wieder zu mir zurückkehren. Sie haben sein Leben aus der Bahn geworfen. Haben ihn davon abgehalten, hier in Kalifornien eine ihm angemessene Frau zu heiraten. Sie haben ihn in den Tod getrieben!« Er rückte mit dem Stuhl zurück und versuchte aufzustehen, indem er sich mit beiden Händen an der Tischkante festhielt. Er stierte und fletschte dabei die Zähne. Garnet zog sich, von Angst und Grauen geschüttelt, zurück. Er sah aus wie ein gereiztes
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