Kalifornische Sinfonie
geschehen.«
Sie war so erbittert, daß der Zorn ihr die Augen verschleierte; sie vermochte ihn nur noch undeutlich zu sehen. Nur daß sein dunkles Gesicht nahe dem ihren war, nahm sie wahr, daß seine Hand noch immer ihren Ellbogen umklammerte und daß er im Begriff war, etwas zu sagen. Aber sie wollte nun nichts mehr hören. Sie riß sich mit einer schnellen Bewegung von ihm los, raffte die Röcke und lief davon. O Gott, sie war so sicher gewesen in ihrem Gefühl und so sicher, daß dieses Gefühl erwidert würde. Jetzt kam sie sich verschmäht und gedemütigt vor. Es war, als hätte sie um Perlen gebeten und hätte statt dessen eine Handvoll Seemuscheln bekommen. Sie war wütend auf John und noch wütender auf sich selbst, weil sie ihm so offen ihr Gefühl enthüllt hatte. Es war ihr, als sei ihr Stolz mit Füßen getreten worden. Wenn er jetzt über sie lachte, konnte sie sich nicht einmal beklagen; sie hatte ihm durch ihre rückhaltlose Offenheit ja selbst den Grund gegeben.
Sie rannte durch das hohe Gras, ihre Schultern streiften hier und da die weit herabhängenden Baumäste; Zweige schlugen ihr ins Gesicht und verfingen sich in ihrem Haar. Der Wildhafer stand kniehoch und dicht wie ein Pelz. Aber sie achtete nicht des Weges, sie wollte weg von John, weg von dem Mann, der sie so gedemütigt hatte, und also lief sie und merkte gar nicht, wie ihr Fuß sich im Hafergestrüpp verfing; sie taumelte und fiel vornüber ins Gras.
Da sie instinktiv die Hände vorgestreckt hatte, geschah ihr weiter nichts. Dennoch hatte der plötzliche Fall ihr einen kleinen Schock versetzt; es fiel ihr schwer, sich wieder aufzuraffen. Wie idiotisch ich aussehen muß! dachte sie; hoffentlich hat er mich nicht fallen sehen. Als sie schließlich stand, hatte sie ein leichtes Schwindelgefühl.
Sie atmete schwer. Sie hatte keine Schmerzen, aber ihr ganzer Körper flog vor Erregung, und ihre Hände zitterten. Sie blinzelte, um erst wieder klare Sicht zu bekommen, und dann, als der leichte Schleier von ihren Augen sich verzog, sah sie John. Er richtete sich eben auf. Offenbar hatte er ihr helfen wollen. Wenn er wenigstens so viel Takt gehabt hätte, so zu tun, als habe er ihren lächerlichen Fall nicht gesehen. Aber er hatte ihr ja gerade erst gesagt, daß er kein Taktgefühl besitze, und er sagte ja nie etwas, was nicht unbedingt den Tatsachen entsprach. Sie war noch immer halb betäubt, aber sie sah nun sein Gesicht dicht vor dem ihren.
»Bitte, hör zu«, sagte er. »Du erwähntest vorhin die Musik. Es gibt Menschen, die kein Gehör dafür haben. Vielleicht ist es so, daß ich kein Gehör für die Liebe habe. Das möchte immerhin sein, denn was du über Musik sagtest, habe ich verstanden.«
Sie konnte noch nicht antworten, sie bekam kein Wort über die Lippen; er fuhr fort: »Ich habe nämlich auch kein musikalisches Gehör. In der Regel muß ich eine Melodie zehnmal hören, um sie wiederzuerkennen, und auch dann gelingt es mir nicht immer. Wäre es richtig, mich deswegen zu tadeln? Und wenn ich nun ohne Gehör für die Liebe geboren wäre, wolltest du mich deswegen strafen?«
Garnet atmete schwer; sie zitterte immer noch am ganzen Körper. »John«, keuchte sie, »laß mich allein. Höre auf, über mich zu spotten. Laß mich gehen.«
»Oh, du liebe, törichte Närrin!« rief John, »weißt du nicht, daß ich dir jederzeit alles geben würde, was du verlangst, so ich es nur hätte?«
Garnet hörte ihn kaum. John zog sie an sich, und bevor sie ihn noch zurückstoßen konnte, riß er sie in seine Arme und küßte sie, wie er sie noch nie geküßt hatte.
Einen Augenblick ließ sie es sich in atemlosem Entzücken gefallen. Aber dann wurde ihr bewußt, daß sie es gleichsam willenlos geschehen ließ. Eine Welle der Scham und der Wut überflutete sie; ein roter Vorhang zog sich vor ihren Augen zusammen. Mit aller Kraft, die sie aufzubringen vermochte, riß sie sich los; und da Scham und Wut in ihr stärker waren als alles andere, hob sie die Hand und schlug ihm ins Gesicht. Ihre Hand brannte von dem Schlag, und sie lief schon; sie raffte die Röcke und lief, und ob nun ein glücklicher Zufall es wollte, oder das Wissen, er sehe ihr nach, ihr Sicherheit verlieh – diesmal stürzte sie nicht. Sekunden später lag der Olivenhain schon hinter ihr, stolperte sie schon über das Steinpflaster des Hofes, der den Hain mit dem Herrenhaus verband.
Sie blieb plötzlich stehen, ließ die Röcke fallen und sah sich um. John war ihr nicht gefolgt;
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