Kalifornische Sinfonie
ihren Arm und ging mit ihr langsam den Pfad entlang. Es sah aus, als hätten sie ein wenig promeniert, um sich an der scheidenden Abendsonne zu erfreuen. Vor dem Hause verbeugte er sich vor ihr und küßte ihr die Hand. Garnet ging hinein.
Sie wollte den Traum von John loswerden. Wenn schon ein so kurzes Zwischenspiel sie so gekränkt und verwundet zurücklassen konnte, dann war es besser, ihn ganz aus ihrem Herzen zu reißen. Eines Tages würde sie dann ihr Kind nehmen und nach Hause gehen.
Neununddreißigstes Kapitel
Es war die letzte Woche des März, als sie in Los Angeles ankamen. Das erste, was sie hörten, war, daß Charles Hale verheiratet sei. Texas erzählte es ihnen am Tage nach ihrer Ankunft. Er saß auf dem Küchentisch, während Stephen unter Isabels Aufsicht auf dem Fußboden spielte. Nikolai Grigorievitch saß am Herd und vertilgte riesige Fleischportionen, und Micky ging umher und goß Tee ein.
Nachdem sie sechs Monate weg waren, hatten sie damit gerechnet, von dieser oder jener Veränderung zu hören, aber die Mitteilung, Charles habe geheiratet, verschlug ihnen doch beinahe die Sprache. Garnet war im Grunde froh. Auf diese Weise würde Charles vermutlich eigene Kinder bekommen und weniger daran interessiert sein, ihr Stephen wegzunehmen.
Sie erkundigte sich nach der neuen Mrs. Hale. War sie jung? Hübsch? Reich? Amerikanerin oder Kalifornierin? Wann hatte die Hochzeit stattgefunden und wo hielt sich das Ehepaar gegenwärtig auf? Texas schien die Gedanken hinter Garnets Stirn zu lesen. Er warf einen Blick auf das spielende Kind und streichelte sacht ihren Arm. Texas sah erschreckend aus. Seine Lider waren gerötet, sein Bart verwildert, wie in der Zeit der Wüstendurchquerung, und seine Hände zitterten. Aber sein Benehmen war unverändert; er gab sich sanft und ruhig, wie in jener Nacht, da Stephen geboren wurde. Garnet lächelte ihn an. Florinda sagte: »Erzählen Sie weiter, Texas, ich gebe Ihnen frischen Tee.«
Und Texas berichtete, daß Charles eine Witwe aus seiner Heimatstadt Boston geheiratet habe, eine Mrs. Lydia Radney. Mrs. Radney hatte sich mit ihrem Gatten auf einer Handelsreise befunden; auf hoher See, zwischen Honolulu und San Franzisko, war ihr Mann plötzlich gestorben.
Mr. Radney war zur Hälfte Eigentümer einer Handelsbrigg gewesen, die zu Ehren der Gattinnen beider Eigentümer den Namen L YDIA B ELLE führte. Mr. Radney hatte die Schiffsreise mitgemacht, weil er es für notwendig hielt, einen Superkargo zu beaufsichtigen, der die von Boston mitgeführten Handelsgüter verkaufen und Güter für Bosten an Bord nehmen mußte. Ein Superkargo pflegte im allgemeinen das Vertrauen seiner Chefs zu genießen, aber Mr. Radney war vermutlich ein Mann gewesen, der grundsätzlich keinem Menschen vertraute.
Silky, der eben in die Küche gekommen war, um eine Tasse Tee zu trinken, warf hier ein Wort ein. »Ich glaube, es war Mrs. Radney, die niemand traute«, sagte er, »denk daran, was uns der Morrison erzählt hat.«
Florinda brachte den frischen Tee für Texas. In der anderen Hand hielt sie eine Flasche Aguardiente. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, goß sie dem Tee einen guten Schuß Schnaps zu. »Wer ist Morrison?« fragte sie, ihren Platz auf der Wandbank wieder einnehmend.
»Der Steward des Schiffes«, antwortete Texas. Er schlürfte genießerisch den duftenden Tee, und sein Gesicht begann zu glänzen. »Morrison war nicht nur Schiffssteward, er hatte auch an der Privattafel des Kapitäns zu bedienen; deshalb weiß er ziemlich viel von dem, was da vorging. Und er sagte, Mr. Radney sei lungenkrank gewesen und habe schon in Bosten Fieber gehabt; er hätte die Reise nie unternehmen dürfen, aber seine Frau habe ihn praktisch dazu gezwungen.«
»Eine sehr, sehr interessante Geschichte«, stellte Nikolai Grigorievitch fest, nachdenklich den Rest der Fleischkeule in seiner Hand betrachtend. »Erzähl weiter, Texas.«
Nun erzählten Silky und Texas durcheinander. Es war also so, daß Morrison eines Nachts in der Bar erschienen war und sich betrunken hatte. Und dann hatte er ausgepackt. Danach waren zwei Frauen an Bord der L YDIA B ELLE gewesen, die Gattin des Kapitäns und Mrs. Radney. Und die Frau des Kapitäns hatte Mrs. Radney nicht gemocht. Morrison hatte gehört, wie sie sich äußerte, Radney sei schon in Boston ein schwerkranker Mann gewesen; nie hätte er ein Schiff betreten dürfen, um eine lange Seereise anzutreten. Aber Lydia Radney hatte gleichwohl darauf bestanden,
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