Kalifornische Sinfonie
weil sie überzeugt war, daß der Superkargo sie anderenfalls betrügen werde. Als Mr. Radney dann an Bord gestorben war, hatte Morrison die Frau des Kapitäns sagen hören: »Schuld an diesem Todesfall ist die eigene Frau; sie hat den Mann veranlaßt, die Reise zu machen. Warum blieb sie nicht mit ihm zu Hause und pflegte ihn, wie es sich für eine ordentliche Frau gehört hätte? Aber es gibt eben Leute, die für Geld zu allem fähig sind.«
»Lydia Radney scheint ausgezeichnet zu Charles Hale zu passen«, sagte Garnet. »Fahren Sie fort, Texas.«
Texas fuhr fort. Mr. Radney also war irgendwann im vergangenen Herbst gestorben. Im Januar ging Charles Hale nach San Franzisko, um sich mit den Yankee-Offizieren bekannt zu machen. Als er dort ankam, lag die Brigg L YDIA B ELLE im Hafen mit der trauernden Witwe an Bord. Charles ging auf das Schiff, um der Dame seine Hilfe anzubieten. Dann war es vermutlich so gewesen, daß die beiden einander sehr schnell erkannten; jedenfalls waren sie bereits zwei Monate später durch den amerikanischen Alkalden miteinander getraut worden.
Die Brigg hatte die Neuvermählten nach Süden gebracht und war dann nach San Franzisko zurückgesegelt. Auf dieser Reise nach Süden war der Steward Morrison bei Silky gewesen und hatte seine interessante Geschichte erzählt.
Silky stellte die leere Teetasse aus der Hand und schickte sich an, in die Bar zurückzukehren.
»Kommst du mit Texas?« fragte er.
Texas stand auf. »Ja«, sagte er, »ich werde wohl mitgehen.« Er legte Garnet eine Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, daß Sie wieder da sind, Miß Garnet«, sagte er, »Sie und der kleine Bursche da.« Er lachte Stephen an. »Ich habe etwas für ihn gebaut«, setzte er hinzu.
»Gebaut, für Stephen? Wie nett von Ihnen! Was denn?«
»Ein Bettchen«, sagte Texas. »Mit Seitenwänden, damit er nicht herausfallen kann. Es macht mir Spaß, in meiner freien Zeit ein bißchen zu basteln und zu schnitzen; die Zeit vergeht schneller dabei.«
»Wie lieb Sie sind!« sagte Garnet. »Ich habe mich schon gefragt, wie ich an ein Bett für das Kind kommen soll. Er ist jetzt schon so lebhaft.«
»Ich bin noch nicht ganz fertig«, lächelte Texas. »Sobald es soweit ist, bringe ich es her.« Er wandte sich ab, warf dem spielenden Kind noch einen wehmütigen Blick zu, der Garnet ein Würgen im Hals verursachte, und humpelte zur Tür, das halbsteife Bein hinter sich herziehend.
Florinda ging hinaus, um Isabel Wäsche zum Ausbessern zu geben, und Garnet blieb am Tisch zurück und sah Stephen zu. Ihre Gedanken wanderten. Aber sie beschäftigten sich jetzt nicht mit Charles oder mit Texas; die eigene Zukunft bereitete ihr Sorgen genug. Morgen würde sie also ihre Arbeit an der Bar wieder aufnehmen. Nun, sie hatte keinen Grund, sich darüber zu beklagen; es war dies ihr eigener Wille gewesen, und es war die Folge ihrer eigenen Fehler.
Gut! dachte sie grimmig, das ist nun einmal so. Ich werde meine Verpflegung und Unterkunft haben, und ich werde zehn Prozent von meinem Umsatz bekommen. Ich werde nichts für mich verbrauchen oder jedenfalls nichts, was irgend vermeidbar ist, denn ich muß Geld sparen, um eines Tages einen Schiffskapitän bezahlen zu können, der mich mit dem Kind nach New York bringt. Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf: Vielleicht könnte sie mit der Handelsbrigg L YDIA B ELLE reisen; jetzt, nachdem Mrs. Radney Mrs. Hale geworden war. Aber sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Noch hatte sie das Geld nicht, die Reise bezahlen zu können, und sie gedachte nicht um irgendeine Vergünstigung zu bitten, am allerwenigsten diese Leute. Schließlich brauchte sie es auch nicht. Es war zwar nicht gerade angenehm und verlockend, sich als Barmädchen zu betätigen, aber es verschaffte ihr jedenfalls Freiheit und Unabhängigkeit. Plötzlich vergegenwärtigte sie sich, daß John nie mit einem Wort eine Einwendung gegen ihre Bartätigkeit erhoben hatte. Florinda, die natürlich froh war, sie an ihrer Seite zu haben, hatte wenigstens zum Schein zunächst dagegen protestiert. Und Texas hatte nicht nur einmal, sondern häufig und sehr eindringlich gesagt: »Es gefällt mir gar nicht, Sie hier an der Bar zu sehen.« Charles hatte helle Entrüstung gezeigt. Aber John hatte nicht ein einziges Wort darüber verloren. Auch als er sie fragte, ob sie ihn heiraten wolle, hatte er die Bar nicht erwähnt.
Er liebt mich eben nicht, dachte sie. Aber wenigstens beleidigt er mich auch nicht, indem er andeutet,
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