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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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ihre Eltern nicht wissen zu lassen, daß alles ganz anders war, als sie es erwartet hatte. Und ihr Vater hatte genau das getan, was sie damals vorausgesetzt hatte. Er hatte den Brief mit zur Bank genommen und hatte ihn seinen Freunden gezeigt. Und als ein Offizier bei ihm war, der im Begriff stand, nach Kalifornien abzugehen, hatte er ihm sehr begreiflicherweise den Brief gleichfalls gezeigt. Sie hörte den Vater im Geist sprechen: »Da Sie selbst nach Kalifornien gehen, wird es Sie vielleicht interessieren, zu hören, was meine Tochter schreibt…«
    Das New Yorker Regiment war im September abgesegelt. Natürlich war es ihrem Vater nicht eingefallen, den Captain zu bitten, einen Brief an sie mitzunehmen, erwartete er doch, schon in Kürze einen Brief von ihr zu bekommen, der ihm mitteilte, daß sie sich auf dem Heimweg befinde. Statt dessen hatte er, nachdem das Regiment fort war, den Brief bekommen, den sie geschrieben hatte, kurz bevor sie mit Florinda und John nach Los Angeles kam. Und darin stand, daß Oliver tot sei, daß sie ein Kind erwartete und daß sie nicht zurückkommen könne.
    »Mrs. Hale«, sagte Captain Brown mit leiser Stimme.
    Garnet sah auf. »Verzeihen Sie. Ich fürchte, ich hatte –; sie biß sich auf die Unterlippe.
    »Heimweh!« sagte Captain Brown. »Begreiflich genug.«
    »Ja.« Sie lächelte. »Ab und an überfällt es mich und verursacht mir ein paar Stiche. Aber bitte, glauben Sie nicht, ich fühlte mich hier nicht unglücklich. Es ist nur das Wissen, daß ich vorläufig nicht zurückkann, daß ich mir verloren und von der Heimat abgeschnitten vorkomme. Aber sagen Sie: Wie sah mein Vater aus? Sagte er irgend etwas über meine Mutter und die anderen?«
    »Ihr Vater war guter Dinge und sah ausgezeichnet aus«, antwortete Brown. »Deshalb bin ich überzeugt, es ging auch den anderen gut. Ich erinnere mich, daß er es eilig hatte, weil zu Hause eine Abendgesellschaft auf ihn wartete.« Captain Brown nahm den Bleistift auf und steckte ihn samt dem Notizbüchlein ein. »Ich werde sofort feststellen, ob und auf welche Weise wir Ihren Eltern eine Nachricht zugehen lassen können«, sagte er, »und ich lasse es Sie dann wissen.«
    Mr. Collins und Mr. McLane betraten das Lokal, um ihren üblichen Nachtdrink zu nehmen. Captain Brown wünschte ihr eine gute Nacht und verabschiedete sich. An der Tür wandte er sich noch einmal um und hob die Hand, um ihr einen Gruß zuzuwinken. Garnet fühlte, wie eine Welle der Geborgenheit sie überflutete.
    ***
    Die Truppe hatte auf einem Hügel ein Fort errichtet, von dem aus die ganze Stadt zu überblicken war. Hier feierten die Soldaten den 4. Juli, den Unabhängigkeitstag.
    Die Feier begann schon mit Sonnenaufgang. Das Hissen des Sternenbanners wurde von einem donnernden Salutschuß begleitet. Der Kanonendonner hallte von den Bergen wider und weckte jeden, den die Sonne noch nicht geweckt hatte. Die Angelenos rieben sich die Augen und fragten sich grimmig, ob die Yankees vielleicht nicht leben könnten, ohne Lärm zu machen. Sie lärmten bei allem, was sie taten. In Silkys Etablissement, wo niemand vor zwei, drei Uhr überhaupt zum Schlafen gekommen war, riß das Kanonengebrüll die Schläfer fast aus den Betten.
    Garnet setzte sich zu Tode erschrocken auf. Stephen brüllte in seinem Bettchen. Garnet rieb sich die Augen, fragte sich verzweifelt, was geschehen sein könnte, und erinnerte sich dann dunkel daran, daß Colonel Stevenson vor einigen Tagen öffentlich angekündigt hatte, daß die Feiern zum Unabhängigkeitstag mit einem Geschützsalut eröffnet werden würden. Sie stand auf, warf einen Morgenrock über und trug Stephen in die Küche hinunter. Sie fand etwas kalten Milchbrei, der von der Abendmahlzeit des Kindes übriggeblieben war. Sie war eben dabei, ihn aus dem Topf herauszukratzen, als Micky erschien, um die Morgenschokolade zu bereiten. Mickys Zopf wippte, seine Filzschuhe schlappten, und er lächelte höflich wie immer. Er hatte keine Ahnung, warum die Yankees mit Kanonen schossen. Aber er hatte sich seit langem daran gewöhnt, daß die Yankees viele Dinge taten, die er nicht begriff. Garnet erwiderte, gleichfalls lächelnd, seinen Morgengruß. Sie hatte nur wenig geschlafen, aber sie mußte daran denken, wie einsam sie sich bei der vorjährigen Feier zum 4. Juli gefühlt hatte. Da hatte der Tag sich in nichts von anderen Tagen unterschieden. Und sie fand, der Anlaß der Feier sei eine unterbrochene Nachtruhe schon wert.
    Florinda war weniger

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