Kalifornische Sinfonie
hatte Estelle ihres Wissens nie betreten, mindestens hatte Garnet sie nicht zu sehen bekommen. Die Männer brachten dann und wann schon einmal Mädchen in die Bar, doch geschah das verhältnismäßig nur sehr selten. Und Silky selbst pflegte zwar dann und wann auszugehen, um Mädchen zu besuchen, dagegen erhielt er im Hause nie weiblichen Besuch. Silky war ein sehr vorsichtiger Mann, der seine privaten und seine geschäftlichen Interessen sehr wohl zu trennen wußte. Um so erstaunter war Garnet, die das wußte, ihn eines Nachmittags in der Küche im Gespräch mit einer Frau anzutreffen.
Garnet hatte Stephen im Arm, und sie wollte mit ihm in die Küche, um ihm seinen Brei zu geben, der auf dem Herd warmgehalten worden war, bevor sie wieder in die Bar ging. Als sie eben im Begriff war, die Küchentür zu öffnen, hörte sie eine weibliche Stimme sagen:
»…es ist natürlich eine Schande, Silky, das ist klar. Und außerdem ist es ein schlimmer Schaden fürs Geschäft und auch überhaupt. Aber was soll ich denn machen, Silky? Es tut mir ja so leid. Ich schwöre zu Gott, ich konnte nicht anders.«
Die Stimme klang blechern und rostig, und die Ausdrucksweise war so vulgär, daß Garnet sich unwillkürlich an die Ochsentreiber des Santa-Fé-Trecks erinnert fühlte. Wer mag das sein? dachte Garnet. Es gibt doch nur ganz wenig Englisch sprechende Frauen in Los Angeles. Hätte sie nicht das Kind auf dem Arm gehabt, wäre sie schweigend wieder umgekehrt. Aber Stephen war hungrig, und nun hatte sie auch schon auf die Klinke gefaßt; jetzt konnte sie nicht mehr gut zurück. Irgendwelche Privatsachen Silkys! dachte sie, ich hole mir nur eben meinen Topf mit Brei heraus. Sie öffnete die Tür und hörte Silky im gleichen Augenblick sagen: »Und du meinst, man kann ihn wirklich nicht herausholen?«
»Ich habe nicht das Herz dazu, Silky«, sagte die Besucherin. »Ich schwöre zu Gott: Ich habe nicht das Herz!«
Aber jetzt wurde Silky Garnets ansichtig, die mittlerweile die Küche betreten hatte. Er sprang auf und machte ihr eine übertriebene Verbeugung. Garnet sah ihn verwundert an. Seit er sich daran gewöhnt hatte, sie tagtäglich in der Bar zu sehen, hatte er darauf verzichtet, seine hochtrabenden Gesten und Redensarten vor ihr anzubringen. Aber nun stand er da, zwirbelte seinen Schnurrbart, schnitt seine albernen Grimassen und redete den theatralischen Unsinn, den er früher geredet hatte. Während er damit noch beschäftigt war, vermochte Garnet einen Blick auf die am Tisch sitzende Frau zu werfen.
Die Frau schien noch nicht alt. Aber sie machte einen verwilderten Eindruck, als sei das Leben nicht gerade zart mit ihr umgesprungen; sie wirkte wie eine Frau, die ihre natürliche Frische lange vor der Zeit eingebüßt hat. Und obgleich nichts an ihr geradezu schmutzig war, machte sie doch den Eindruck, als würde eine gründliche Behandlung mit Wasser und Seife ihr guttun.
Ihre Wangen leuchteten rosa, aber diese Farbe stammte ganz offensichtlich aus dem Tuschkasten. Und sie trug eine große rosa Samtrose im Haar. Dieses Haar hatte die Farbe von stumpfem Messing, nur in der Scheitelgegend war es ein wenig dunkler, und über den Ohren saßen kleine gedrehte Lockenbüschel, die noch eine Nuance heller als Messing waren. Sie trug ein mit großen rosa Blumen bedrucktes Seidenkleid. Das Kleid hatte große Schweißringe rund um die Achselhöhlen. Der Kleidersaum war staubig, und die schwarzen, mit einer rosa Rosette verzierten Ziegenlederpumps waren es nicht weniger. Sie war von oben bis unten mit Schmuck behangen; in ihren Ohren schaukelten goldene Ringe, um den Hals trug sie eine goldene Kette, und an beiden Händen und Handgelenken funkelten zahllose Ringe und Armbänder. Um den Leib trug sie einen ledernen Pistolengürtel, der lange nicht geputzt worden war. – Garnet zuckte bei dem Anblick dieser aufgedonnerten Person förmlich zusammen, ihr wurde bewußt, wie schlicht und einfach sie selber wirkte in ihrem grün und weiß gemusterten Baumwollkleid, sie spürte einen instinktiven Widerwillen in sich aufkeimen. Aber während Silky noch seine feierlichen Reden hielt, wandte die Frau Garnet den Kopf zu und lächelte sie und das Kind freundlich an. Sie hatte große braune Augen und ein gutmütiges Lächeln im derben Gesicht. Garnet fand jetzt, sie sähe bei aller Gewöhnlichkeit eigentlich ganz anziehend aus.
»Oh, Mrs. Hale«, dienerte Silky, »welch eine Freude, Sie so frisch und gesund zu sehen! Wahrhaftig, Sie gleichen
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