Kalifornische Sinfonie
patriotisch. Sie hatte zwar irgendwann einmal auch schon etwas von der Unabhängigkeitserklärung gehört, hatte aber nur einen sehr verschwommenen Begriff von den Zusammenhängen. Während sie gemeinsam ihre Schokolade tranken, erzählte ihr Garnet davon. Florinda meinte, das höre sich ja alles sehr schön an, aber sie sehe nicht im geringsten ein, warum sie deshalb so früh aufstehen müßten. Sie finde, es hätte durchaus gereicht, gegen Mittag mit der Feierei zu beginnen. »Aber ich verstehe natürlich nichts von solchen Dingen«, sagte sie, »und im übrigen: wo ist die Tinte? Wenn ich schon einmal auf bin, dann will ich die Zeit auch nützen und meine Einnahmen aus der vorigen Woche kontrollieren, bevor Silky auf den Gedanken kommt, sich von meinem Geld einen neuen Mantel zu kaufen.«
Silky war schon dabei, die Bar zu öffnen. Er machte die Mädchen darauf aufmerksam, daß sie sich heute auf einen starken Geschäftsbetrieb gefaßt machen müßten, denn das viele Hurra-Rufen und das lange Herumstehen im Freien verursache durstige Kehlen. An den Mauern des neuen Forts war die Unabhängigkeitserklärung in beiden Sprachen angeschlagen worden, und sie wurde dann auch in Englisch und Spanisch vor den angetretenen Truppen verlesen, wobei jeder zuhören konnte, der sich die Mühe machte, den Hügel hinaufzusteigen. Die Befestigung erhielt zum Gedenken an Captain Moore, der in der Schlacht von San Pascual im vergangenen Dezember gefallen war, den Namen Fort Moore. Im Laufe des Tages fanden noch viele Einzelfeiern statt, es wurde weiter Salut geschossen, Hurra gerufen, und es wurden Festreden gehalten. Und alle Leute waren fröhlich und ausgelassen und verlangten nach Trinkbarem.
Silky hatte recht gehabt. Der Tag war heiß und die Bar ständig überfüllt. Um Mitternacht hatten Garnet und Florinda vor Müdigkeit rot entzündete Augen. Captain Brown hatte fast unausgesetzt an der Bar gestanden und sich damit beschäftigt, einen Drink nach dem anderen hinunterzugießen. Gesprochen hatte er kaum, aber seine Anwesenheit wirkte sich dahin aus, daß die Soldaten sich einigermaßen gesittet benahmen. Als Silky und José die letzten Gäste hinausgeleiteten, nahm Garnet ihre letzten Kräfte zusammen und ging zu Brown hinüber.
»Es war gut, daß Sie hier waren«, sagte sie, »ich danke Ihnen sehr.«
»Reden Sie möglichst nicht mehr«, antwortete der Captain lächelnd, »ruhen Sie sich aus.«
Er wünschte ihr eine gute Nacht und ging. Florinda, die, an der Bar stehend, den Kopf in die Hände stützte, murmelte: »Einen prächtigen Kavalier hast du da bekommen, Garnet.«
Garnet fand das auch. Sie mochte Brown sehr gern. In dem lauten Getöse von Los Angeles wirkten seine immer gleichbleibende Ruhe und seine liebenswürdige Höflichkeit auf sie wie das sanfte Streicheln einer kühlen Brise an einem schwülen Tag. Er hatte ihr erzählt, daß sein Vater ein paar Jahre lang mit der Bank, an der Mr. Cameron arbeitete, geschäftlich zu tun gehabt hätte. Mr. Brown importierte Spitzen und andere Luxusartikel aus Europa. Von den beiden Söhnen hatte der älteste in das väterliche Geschäft eintreten sollen, während der jüngere für den Dienst in der Armee vorgesehen war. Der jüngere Sohn, eben Captain Brown, war in West Point in die Armee eingetreten. Aber inzwischen war sein älterer Bruder gestorben, deshalb hatte er um seine Entlassung nachgesucht, um das Geschäft des Vaters weiterführen zu können. Er hatte die Uniform auch bereits mit dem Zivilrock vertauscht, indessen war er bei Ausbruch des Krieges wieder eingezogen worden. Er wartete nun auf den Zeitpunkt, da die Armee seine Dienste nicht mehr brauchen und ihm gestatten würde, ins bürgerliche Leben zurückzukehren.
Captain Brown hatte erreicht, daß Garnet dem über Mexiko gehenden Kurier der Armee einen Brief an ihre Eltern mitgeben durfte. Allerdings durfte sie nur ein einzelnes Blatt beschreiben und mußte sich damit abfinden, daß der Brief die militärische Zensur passierte. Das war ihr recht; wenigstens erhielt sie auf diese Weise die Möglichkeit, ihren Eltern zu sagen, daß sie einen gesunden Jungen geboren habe, der Stephen heiße, und daß sie sich guter Gesundheit erfreue.
Im Juli wurde das Mormonen-Regiment abgemustert. Einige Männer ließen sich von neuem anmustern; sie wurden nach San Diego geschickt. Hier gingen die Mormonen ebenfalls mit der bei ihnen üblichen Energie an die Arbeit. Sie reinigten Hauswände, beschlugen Pferde, fertigten Karren
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