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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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blicken. Sie schrak furchtbar zusammen. Es war nicht Silky, der dort stand. Es war Charles Hale.
    Charles sprach über die Schulter hinweg mit jemand, der sich noch außerhalb der Tür befand und den Garnet nicht sehen konnte. »Es ist das richtige Zimmer«, sagte er, »sie ist da.«
    Texas starrte dem Mann ins Gesicht und versuchte sich aufzurichten. »Suchen Sie mich?« murmelte er. Garnet war empört aufgesprungen. Was fiel diesem Manne ein! Sie sagte: »Texas ist sehr schwer krank. Lassen Sie ihn in Ruhe.«
    Stephen hielt sich an ihren Röcken fest. Charles kam heran und bückte sich, als wolle er nach dem Kinde greifen. Stephen stieß einen Schrei aus und verkroch sich wieder hinter den Röcken seiner Mutter; offenbar hatte er Angst vor dem Mann. Garnet streichelte das Köpfchen des Kindes und sagte mit drohendem Ernst in der Stimme: »Lassen Sie die Hände von dem Kind, Charles.« Sie hob Stephen auf, schloß ihn fest in die Arme und trat einen Schritt zurück. Sie hörte Charles sagen:
    »Es wird Ihnen alles nichts helfen. Sie werden ihn mir doch überlassen müssen. Ich habe Ihnen jede denkbare Möglichkeit geboten, mit dem Kind zusammenzubleiben. Aber nunmehr bin ich fertig mit Ihnen.« Garnet, an allen Gliedern zitternd, hellwach vor Beunruhigung vernahm Stimmen und das Geräusch von Schritten und zuklappenden Türen im Haus; ein paar Mädchen schrien schrill auf, und eine Männerstimme befahl barschen Tones: »Bleiben Sie zurück und verhalten Sie sich ruhig. Das ist eine sehr ernste Sache.«
    Sie atmete schwer und fühlte, wie die kalte Wut in ihr hochstieg. Stephen schrie auf ihrem Arm, vielleicht, weil er Angst hatte, vielleicht auch, weil sie ihn zu fest an sich preßte. Sie hörte Texas hinter sich flüstern, mit einer hohlen, brüchigen Stimme, die gleichwohl vor Groll zitterte: »Du verdammter, niederträchtiger Schuft!«
    Charles schien kühl und vollkommen sicher; seine Augen funkelten kalt. Er sprach nicht laut, aber so, daß trotz Stephens Geschrei jedes Wort deutlich wurde: »Die Brigg L YDIA B ELLE segelt in Kürze nach Boston. Meine Frau und ich werden mitfahren, um die Angelegenheiten des verstorbenen Mr. Radney abzuwickeln. Wir werden das Kind meines Bruders mitnehmen.«
    »Bist du wahnsinnig!« schrie Garnet, jede Konvention und jede Erziehung vergessend. »Glaubst du im Ernst –
    Charles nahm ihren Ausbruch überhaupt nicht zur Kenntnis; er sprach ungerührt weiter: »Er wird in Boston erzogen werden, und zwar in einer ihm angemessenen Umgebung und unter dem Einfluß moralischer Grundsätze. Lange genug haben Sie es den verderblichsten Milieueinflüssen ausgesetzt…«
    Garnet hörte Texas hinter sich fluchen und ächzen, sie hörte die von der Straße hereindringenden Geräusche und die Unruhe im Haus, trotzdem entging ihr kein Wort, das Charles sprach, und jedes einzelne Wort, das aus seinem Munde kam, vertiefte ihren Haß und gab ihr gleichzeitig ein Gefühl der Kraft und der überlegenen Ruhe. Charles fuhr fort:
    »Wir haben keine Möglichkeit, Ihr Tun und Lassen zu beeinflussen, aber wir haben die Macht und die Möglichkeit, dieses Kind einem geordneten Leben zuzuführen. Deshalb werden wir es Ihnen nehmen.«
    »Wahrhaftig, Charles Hale, das wirst du nicht«, sagte Garnet; sie wunderte sich über die Kälte ihrer Stimme und über die ruhige Sicherheit, mit der sie zu sprechen vermochte. »Du wirst ihn mir nicht nehmen, nie! Das schwöre ich. Ich würde dich eher in Stücke reißen. Wage es, eine Hand an mein Kind zu legen –
    Charles winkte ab, mit einer überlegenen Geste, als wünsche er einen gar zu theatralischen Auftritt zu unterbrechen. »Ihr Temperament geht mit Ihnen durch«, sagte er, »Sie benehmen sich schlecht. Das macht wohl der Umgang. Es wird Ihnen übrigens alles nichts helfen. Denn ich stehe hier keineswegs aus eigener Verantwortung. Ich habe hier einen Befehl des Stadtkommandanten, wonach mir das Kind auszufolgen ist. Bitte!«
    Er streckte die Hand aus, und in der Hand hielt er ein Blatt Papier. Seine Augen waren wie zwei glühende Nadeln, die sich Garnet ins Hirn bohrten. Sie konnte nicht weiter zurücktreten, denn ihre Füße stießen schon gegen das Bett, in dem Texas hinter ihr lag; sie konnte auch nicht aus dem Zimmer heraus, denn Charles stand vor der Tür. Sie hörte Texas etwas sagen, aber sie verstand nicht, was er sagte. Eine Hitzewelle stieg vom Nacken herauf in ihren Kopf und durchlief, zurückflutend, ihren ganzen Körper.
    Das Kind in ihren Armen

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