Kalifornische Sinfonie
dabei, damit er schlucken konnte. Es war eine Flasche von Florindas bestem Whisky. Garnet hatte sie bezahlen wollen, aber Florinda hatte abgewinkt. Das sei nicht nötig, Texas habe noch ein ziemlich erhebliches Guthaben in den Büchern.
Stephen kam herangekrochen und zupfte an der nicht eben sauberen Decke, die man über Texas’ zerbrochene Gliedmaßen gebreitet hatte. Garnet sah, wie er sich krümmte, obgleich er sich Mühe gab, dem Kind zuzulächeln; sie zog den Jungen weg. Stephen war müde und fing an zu quengeln. Sie gab ihm etwas von dem kalten Brei, den sie mitgenommen hatte, und nach einem Weilchen rollte Stephen sich auf der Decke zusammen, die sie für ihn in einer Ecke ausgebreitet hatte, und schlief ein.
Texas lag unbeweglich. Sein Bett hatte weder Laken noch Bezüge, wohl aber ein Kopfkissen. Er schien so bequem zu liegen, wie es unter den traurigen Umständen noch möglich war. Es war düster im Raum, weil Garnet die Fensterläden geschlossen hatte; die rohen Ziegelwände hielten das Zimmer einigermaßen kühl. Das war aber auch alles, was zugunsten des Zimmers gesagt werden konnte, denn der ekelhafte, aus allen möglichen Ingredienzen zusammengesetzte Gestank, der immer über Los Angeles lagerte, drang durch die Ritzen herein. Garnet war diese Atmosphäre an sich schon so gewöhnt, daß sie sie kaum noch wahrnahm. Aber hier in dem kleinen Kämmerchen, das eigentlich nur ein Loch war, schienen die penetranten Gerüche in den Wänden zu hängen.
Außer dem Gestank ließen die Spalten und Ritzen der Fensterläden auch die Sonne herein. Garnet sah den Staub über dem fleckigen Weiß der Wände und die Spinngewebe, die von den Deckenbalken herunterhingen. An einer Wand hingen oberhalb der Bespannung zwei Spiegel in vergoldeten Rahmen und ein paar Bilder, die aus alten Magazinen herausgeschnitten waren; sie waren schmutzig und an den Ecken umgebogen.
Garnet vernahm die Geräusche der Straße. Sie pflegte sonst kaum darauf zu achten, hier mochten sie ihr bewußt werden, weil sie in so heftigem Gegensatz zu der im Raum herrschenden Stille standen. Estelles Mädchen schliefen noch ebenso wie sie selbst. Als Silky sie am frühen Morgen herbrachte, hatte ihnen Estelle selbst geöffnet, aber sie hatte kaum einen Blick auf sie werfen können, da Silky sie durch einen kleinen düsteren Korridor direkt hierhergeführt hatte. Er hatte versprochen, das Haus für die Dauer ihres Aufenthaltes zuzuschließen, und versichert, daß er sie selbst abholen werde. Zum Überfluß hatte er sich ihren Colt zeigen lassen und sich von der Schußfertigkeit der Waffe überzeugt. »Es passiert Ihnen nichts hier«, hatte er gesagt, »aber sicher ist sicher, und es ist in jedem Fall gut, einen schußfertigen Revolver an der Hüfte zu haben.« Silky schien ihren Besuch hier im Grunde seines Herzens nicht zu billigen. Noch bis zu dem Augenblick, da sie in diese elende Kammer getreten war, hatte sie gezweifelt, ob es richtig war, herzukommen. Jetzt, da sie Texas so hilflos vor sich liegen sah und den Glanz auf seinem Gesicht wahrnahm, vergingen die Zweifel. Vielleicht war sie vorher nicht ganz überzeugt gewesen, daß Texas sterben müsse; jetzt sah sie, daß da keine Hoffnung mehr war. Sie sah es an dem grünlichen Schimmer über dem wachsgelben Gesicht, an dem unsteten Flackern der Augen, an den fahrigen Bewegungen seiner Hände.
Garnet hatte noch nie bei einem sterbenden Menschen gesessen. Sie hatte, bevor sie ging, noch schnell einen Korb zusammengepackt und im letzten Augenblick, einer jähen Eingebung folgend, auch noch die Bibel dazugelegt. Jetzt, wo Stephen schlief, nahm sie das Buch aus dem Korb und sagte: »Texas, soll ich Ihnen etwas vorlesen?«
Texas sah sie an. Sie wußte ja nicht einmal, welchen Glaubens er war, ja, ob er überhaupt einen Glauben hatte. Er lächelte schwach und murmelte: »Es ist lieb von Ihnen. Wenn Sie wollen, vielleicht würden Sie den Psalm lesen: ›Der Herr ist mein Hirte‹.« Sie schlug den Text auf und las mit etwas unsicherer Stimme den Psalm, den sie zum großen Teil auswendig konnte. Als sie zu Ende gelesen hatte, waren seine Augen geschlossen. Eine lautlose Stille trat ein, dann flüsterte Texas: »Ob Er mich haben will, der Herr?«
»Ja«, antwortete Garnet mit klarer Stimme, »davon bin ich ganz sicher überzeugt, Texas.«
Er lächelte schwach: »Wissen Sie, Miß Garnet, im Grunde glaube ich es auch.« Er tastete auf der Decke herum, offenbar suchte er nach ihrer Hand; sie reichte sie
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