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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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schrie. Es begann jetzt zu strampeln und mit den Füßchen zu stoßen, vermutlich, weil sie es zu fest hielt. Garnet griff mit einer Hand nach seinen Beinchen, um sie festzuhalten; die Hand streifte den Gürtel und das Pistolenhalfter; sie krallte sich um den Griff des Colts.
    Es war sonderbar. Sie dachte nur: Ich werde es tun. Sie sah den Mann vor sich stehen, die ausgestreckte Hand mit dem Fetzen Papier darin, das höhnische Lächeln, die kalt funkelnden Augen: die Maske des Triumphs. Sie sah den Mann einen Schritt vortreten und die Hand nach dem Kind ausstrecken, sie hörte das Kind schreien, riß den Revolver heraus, hob ihn, ohne eigentlich bewußt zu zielen, und hörte es zweimal kurz hintereinander krachen. Ein scharfer, beißender Geruch stieg ihr in die Nase; sie sah den Mann vor sich langsam zusammenbrechen, sich noch einmal aufbäumen und herumwälzen und dann stilliegen. Was habe ich getan? dachte sie. Ich wollte das nicht. Ich wollte das alles nicht. Aber ich mußte ja mein Kind schützen.
    Dreiundvierzigstes Kapitel
    Garnet stand noch immer halb betäubt; ihre Linke umklammerte den laut schreienden Jungen, ihre herabhängende Rechte hielt noch immer den Colt. Es war ihr, als sei eine endlose Zeit vergangen; in Wirklichkeit hatte das alles nur Sekunden gedauert. Dann fühlte sie, daß Texas von hinten ihr Handgelenk umklammerte und ihr den Revolver entriß; sie hörte ihn ächzen. Ihr wurde kaum bewußt, was er tat. Sie starrte entsetzt auf den vor ihr liegenden unförmigen Körper und auf den unter ihm träge hervorsickernden Blutstrom, der auf sie zufloß. Draußen im Haus kreischte und schrie es, dann näherten sich schnelle Schritte, und die Tür wurde aufgerissen. Sie hörte zwei Männer gleichzeitig ausrufen: »Da ist Mrs. Hale.« Gleich darauf sagte der eine der Männer mit schreckbebender Stimme: »Wer hat das getan?«
    Sie sah auf. Vor ihr standen zwei junge Burschen in der Uniform einfacher Soldaten des New Yorker Regiments. Der eine stand in der Tür, und der andere beugte sich eben über den Erschossenen. Beide waren sehr jung. Gerade während ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoß: Sie sind noch viel zu jung, um so etwas zu sehen, hörte sie Texas’ ächzende, schmerzverzogene Stimme hinter sich sagen: »Ich, Boys. Ich habe geschossen.«
    Das rüttelte sie auf; sie fuhr herum und starrte Texas ins Gesicht. »Bringt sie hinaus, Boys«, murmelte Texas. Einer der Soldaten nahm ihm den Revolver ab, den er krampfhaft umklammerte. Und als Garnet jetzt den Mund öffnete – ihr war, als müsse sie schreien: Er lügt! Er tat es nicht! –, keuchte er: »Bringt sie zum Schweigen. Bringt sie hinaus. Sie ist hysterisch.«
    »Verhalten Sie sich still, Madam«, sagte einer der Soldaten. Beide wandten sich jetzt um und redeten auf die vor der Tür stehenden Menschen ein, die Anstalten machten, das Zimmer zu betreten. Garnet sah ein paar Mädchen in schmutzigen Morgenröcken, sie sah auch Estelle, in einen Schal gehüllt und mit Lockenwicklern im Haar; dahinter drängten sich ein Dutzend Müßiggänger, die der Knall der Schüsse herbeigelockt haben mochte. Alle diese Menschen redeten aufeinander ein, schrien durcheinander und schimpften. Die Tür öffnete sich nach innen, und die Soldaten vermochten sie nicht zu schließen, ohne zuvor den Körper des Erschossenen beiseite zu ziehen. Sie stellten sich deshalb auf die Türschwelle, griffen sich bei den Händen und bildeten so eine Sperre. Während dieses Aufruhrs kniete Garnet neben Texas nieder. »Texas«, flüsterte sie, »warum tun Sie das? Sie sollen das nicht tun. Ich will die Tat nicht leugnen.«
    »Miß Garnet – bitte«, flüsterte Texas, »lassen Sie mich!«
    »Das kann ich nicht, Texas.«
    »Aber ich hätte es getan«, ächzte Texas. »Ich hätte es ganz gewiß getan, wenn ich den Colt gehabt hätte. Sie können mir – nichts mehr tun. Ich – lebe nicht mehr lange.« Er tastete nach Stephen und strich ihm mit der Hand über das Haar. »Der Junge«, flüsterte er, »Sie müssen doch für den Jungen da sein.«
    Sie hörte Estelle im Flur schreien. In einer grauenhaften Mischung von schlechtem Spanisch und schlechtem Englisch befahl sie den Mädchen, sich auf ihre Zimmer zu scheren.
    »Ich habe es getan«, raunte Texas beschwörend, »sagen Sie es ihnen, ich werde es auch wieder sagen. Es muß sein.« Und da er sie immer noch die Stirn runzeln und die Lippen zusammenpressen sah, griff er nach ihrer Hand und preßte sie schwach. »Es wäre mir

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