Kalifornische Sinfonie
an. »Die Untersuchung ist abgeschlossen, Mrs. Hale«, sagte er.
Garnet sah ihm gerade ins Gesicht. »Wollen Sie nun hören, was wirklich geschehen ist?« fragte sie.
»Wenn Sie wollen.« Ein schwaches Lächeln überzog sein Gesicht: »Zuvor hätte ich Ihnen gern etwas gesagt«, fuhr er fort, »jetzt, da ich privat mit Ihnen spreche: Ich möchte Ihnen den dringenden Rat geben, ein ganz sauberes, jederzeit kontrollierbares Leben zu führen. Und zwar deshalb, weil Sie die schlechteste Schauspielerin sind, die mir je vor Augen kam.«
Garnet flüsterte: »Es lastet wie ein Gewicht auf mir. Es würde mich sehr erleichtern, wenn ich sprechen dürfte.«
»Also sprechen Sie.«
Sie erzählte ihm alles bis zu dem Augenblick, da sie in auswegloser Verzweiflung den Colt herausgerissen und geschossen hatte. »Den Schein habe ich hier im Herd verbrannt«, setzte sie hinzu. »Das war vermutlich Unsinn, jedenfalls kann ich dadurch kaum verhindern, daß Mrs. Hale einen neuen Befehl erwirkt, ihr mein Kind auszufolgen.«
Captain Brown legte seine Hand beruhigend auf die ihre. »Ich möchte annehmen, daß Sie in dieser Richtung keinerlei Befürchtungen haben müssen«, sagte er. »Haben Sie das Papier gelesen, bevor Sie es verbrannten?«
»Nein.«
Er lachte trocken auf. »Wahrscheinlich haben Sie irgendeine Empfangsbestätigung oder einen Kaufvertrag, vielleicht auch nur irgendeinen belanglosen Brief verbrannt.«
Garnet starrte ihn, nichts begreifend, an. »Was heißt das?« flüsterte sie.
»Nun«, sagte der Captain, »zweifellos ist es Colonel Stevenson nicht im Traum eingefallen, Mr. Hale ein Papier der von Ihnen befürchteten Art auszustellen. Erstens, weil er dazu nicht im geringsten autorisiert ist, und zweitens, weil ich ihn gut genug kenne, um das beurteilen zu können. Wann hätte er diesen sonderbaren Befehl übrigens ausschreiben sollen? An dem fraglichen Morgen hat er Charles Hale überhaupt nicht gesehen. Die beiden Soldaten hatte Leutnant Fletcher Mr. Hale zur Verfügung gestellt.«
»Mein Gott!« flüsterte Garnet, »mein Gott! Ich hätte daran denken sollen.«
»Mein liebes Mädchen«, lachte Brown, »nach allem, was Sie in letzter Zeit durchgestanden haben, ist es bemerkenswert, daß Sie überhaupt noch zum Denken imstande sind.«
Garnet senkte den Kopf und antwortete nicht.
Captain Brown drückte ihre Hand. »Die Sache ist einfach«, sagte er. »Charles Hale hielt Ihnen irgendeinen zusammengefalteten Wisch unter die Nase. Er rechnete damit, daß Sie viel zu entsetzt sein würden, um das Papier zu lesen. Zu dem Zeitpunkt, wo Ihnen später bewußt geworden wäre, daß er Sie mit einer Fälschung narrte, wäre er mit dem Kind schon auf dem Wege nach Boston gewesen.«
Garnet hörte die Worte des Captains in einer Art Halbtraum. Sie kam sich völlig zerschlagen vor; als hätten die Ereignisse seit ihrem Abschied in New York allmählich alles Mark aus ihren Knochen gesogen. Und dann drang die ruhige, warme Stimme Browns durch den Traumnebel an ihr Ohr:
»Wollen Sie mir nicht erlauben, Sie nach Hause zu bringen, Miß Garnet?«
Später wußte sie sich nie zu erinnern, wie es geschehen war. Ihr Kopf hatte plötzlich an seiner Brust gelegen; sie hatte das sonderbare Gefühl gehabt: Jetzt bin ich zu Hause, und hatte den zärtlichen Druck seines Mundes auf ihren Lippen gefühlt. Sie war wohl mehr erstaunt als befremdet, und jedenfalls überrumpelt. Sie hörte ihn sagen:
»Du warst tapfer wie zehn Armeen, aber nun soll es auch genug sein. Du brauchst nicht mehr zu kämpfen. Laß nun mich für dich sorgen.«
Er sagte wohl noch mehr dieser Art, aber sie war zu müde und zu widerstandslos, um seine Worte zu fassen. Immerhin verstand sie, was sie bedeuteten: Ruhe und Frieden. Dieser Mann bot ihr mit ruhiger Selbstverständlichkeit all das, was sie in den Jahren des Exils so schmerzlich vermißt hatte. Und mehr als das: Er bot ihr eine warme, dauernde Liebe.
Vierundvierzigstes Kapitel
In den nächsten Tagen mußte Garnet sehr viel nachdenken. Sie hatte Brown gebeten, ihr eine kurze Bedenkzeit einzuräumen, und er hatte ihr das zugestanden. Selbstverständlich begreife er, daß sie im Augenblick nicht in der Verfassung sei, einen so schwerwiegenden Entschluß zu fassen, hatte er gemeint, andererseits möge sie wissen, daß er sich in der gleichen kurzen Zeit absolut schlüssig geworden sei. Er liebe sie. Garnet liebte ihn nicht, und sie war weit entfernt davon, sich insoweit etwas vorzumachen. Das hatte sie nie
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