Kalifornische Sinfonie
deshalb keine Gedanken über Charles.«
Aber Garnet vermochte den Gedanken nicht zu wehren. Sie runzelte die Stirn. Was stimmte da nicht? Oliver war ganz mit den Mauleseln beschäftigt; er sah an ihr vorbei. Der Wind blies ihr eine Staubwolke ins Gesicht; sie mußte husten. Oliver lächelte: »Du mußt trachten, den Hustenreiz zu vermeiden. Der Husten macht dir die Kehle rauh. Schluck das Zeug hinunter.«
Garnet schluckte. »Ich weiß«, sagte sie, »ich werd’ schon damit fertig.«
Der Staub machte auch den Mauleseln zu schaffen. Sie wurden unruhig, und Oliver hatte alle Mühe, sie zu regieren. Er mußte ihnen alle Aufmerksamkeit widmen. »Es geht manchmal ein bißchen zäh«, sagte er, ohne den Kopf zu wenden. »An sich kennt man das ja alles, aber man muß es sich immer wieder von neuem erarbeiten. Man muß sich tagtäglich an zehntausend Dinge erinnern.«
Das Gelände war rauh. Der Wagen ächzte und ratterte. Garnet hielt sich am Sitz fest und sah bewundernd, wie sicher und ruhig Oliver mit den Mauleseln umging. Aber ihre Gedanken waren noch immer bei Charles. Warum hatte Oliver mit besonderer Betonung gesagt, sie solle sich keine Gedanken über Charles machen? Sie hatte nicht gedacht, daß sie sich überhaupt ernsthafte Gedanken über Olivers Verhältnisse würde machen müssen. Es wurde ihr bewußt, daß Oliver es weitgehend vermieden hatte, von Charles zu sprechen. Es sah aus, als gäbe es da irgendwelche Hemmungen.
Nun, dachte sie schließlich, ich werde es ja erfahren. Ich werde ihn später fragen. Gab es etwas, das sie wissen mußte, bevor sie Charles gegenübertrat, würde Oliver es ihr sicherlich sagen.
In ihren Ohren war das Rattern und Rollen und Dröhnen, das Ächzen und Scharren und die vielfältigen Geräusche, die von der endlosen Wagenkarawane ständig erzeugt wurden. Die Räder knarrten bei jeder Umdrehung. Die Ochsen keuchten, und es hörte sich an, als suchten sie ihrem Zorn auf die Männer Luft zu machen, die ihnen zumuteten, in diesen Wogen von Hitze und Staub schwer zu arbeiten. Die Ochsentreiber, die neben den Gespannen gingen, fluchten und schrien auf die Tiere ein, sie brüllten und grölten und knallten mit den schweren Peitschen. Garnet hörte unablässig all diese Geräusche, und obgleich sie so müde war, daß ihr alle Knochen weh taten, war ein Lächeln heimlichen Stolzes in ihrem Gesicht. Es war unwesentlich, wie man sich fühlte, ob man hungrig und müde war und Schmerzen in allen Gliedern hatte – man gehörte dazu. Diese Santa-Fé-Reise war eine große Sache, sie war es wert, daß man dafür litt.
Der Karawanenzug war über eine Meile lang und legte am Tage fünfzehn Meilen zurück. Er bestand außer den Kutschen und Gepäckwagen aus hundert schwer mit Gütern bepackten Planwagen. Die Wagen fuhren zu vieren nebeneinander, die Kutschen mit den Eigentümern der jeweiligen Güterkolonnen zwischen ihren Gefährten, so daß jeder Unternehmer ohne weiteres in der Lage war, seine eigene Mannschaft zu beaufsichtigen. Dem Wagenzug voraus ritten die Pfadsucher und hinter den letzten Gefährten trotteten die überzähligen Ochsen und Maulesel dahin. Als sie Council Grove verließen, waren sie eine Gesellschaft von vierzig Wagen gewesen. Inzwischen waren sie mit den vorausgefahrenen Händlern zusammengetroffen und zu einem großen Zug angeschwollen. Gleichwohl trafen sie immer noch auf die Überreste von Lagerfeuern, die ihnen anzeigten, daß noch mehr Wagen vor ihnen fuhren.
Sie waren nun schon sechshundert Meilen von Independence entfernt, und noch hatten sie zweihundert Meilen bis Santa Fé zurückzulegen. Während der ganzen sechshundert Meilen waren sie nicht auf eine einzige menschliche Behausung gestoßen. Über die leere, starrende Ödnis hinweg brachten die Santa-Fé-Händler Waren im Werte von einer Million Dollar. Alle diese Güter waren von den Männern so gut und so fest verpackt worden, daß sie sicher sein konnten, sie ohne Bruch und Beschädigung nach Santa Fé zu bringen. Wahrhaftig, es war eine großartige Sache. Garnet war stolz, ein Glied dieser prachtvollen, verwegenen Unternehmung zu sein.
Sie fühlte, wie ihr der Schweiß über die Schulter rann. »Oliver«, sagte sie, »was kommt nach Rabbit Ear Creek?«
»Round Mound.«
»Und danach?«
»Steingeröll. Bald danach das Gebirge.«
Sie sah den Staubwolken nach, die wie Gewitterwolken am Himmel hingen. Der Himmel selber war leuchtend blau, mit kleinen weißen Wattewölkchen durchsetzt. Tagelang schon
Weitere Kostenlose Bücher