Kalifornische Sinfonie
irgendwo draußen in der Prärie zusammentreffen.
Die Männer errichteten ein provisorisches Lager; sie fällten Bäume und rollten die entästeten Stämme unter die Wagenräder. Bei der Weiterfahrt würde man sie mitnehmen, um unterwegs etwa notwendig werdende Ausbesserungsarbeiten vornehmen zu können. Denn gleich nach dem Council Grove begann die Prärie, und der Baumwuchs hörte auf. Garnet vermochte sich eine baumlose Landschaft einstweilen nicht vorzustellen; sie fand die Aussicht erschreckend. Oliver meinte, sie werde sich wohl oder übel daran gewöhnen müssen. Hinfort würde sie nur Präriegras und dann und wann ein paar Baumwollstauden zu sehen bekommen.
Der Zug in die Einöde erforderte allerlei Vorbereitungen. Für die einzelnen Karawanen wurden Kapitäne gewählt. Alsdann wurden Pfadfinder bestimmt, die den Zügen vorausreiten würden, um etwaige Gefahren rechtzeitig zu melden. Von hier bis Santa Fé würde die Reisegesellschaft leben wie eine Armee auf dem Kriegsmarsch. Der Weg war hart, aber die Männer kannten ihn genau, sie kannten ihn im Schlaf und hatten jede Einzelheit im Gedächtnis. Sie kannten jeden Berg, jeden kleinen Fluß, und sie wußten die Zeichen des Wetters zu deuten. Sie waren keine Abenteurer und hatten keinerlei Sinn für Romantik. Es war ihr Beruf, bepackte Planwagen sicher nach Santa Fé zu bringen. Sie hatten das zahllose Male getan.
Oliver lehrte Garnet, mit Gewehr und Pistole umzugehen. »Du wirst das wahrscheinlich nicht brauchen«, sagte er, »aber es wäre gefährlicher Unfug, die Prärie zu durchqueren, ohne zu ahnen, wie man mit einem Schießeisen umgeht.« Garnet erschrak nicht im mindesten, aber sie fragte Oliver, wie es mit den Indianern bestellt sei und was man möglicherweise von ihnen zu erwarten habe. Oliver lachte und meinte, sie würde vermutlich bis Santa Fé kaum Gelegenheit haben, einen Indianer mit eigenen Augen zu sehen. Trotzdem erklärte er ihr, wie man Indianerspuren zu lesen hatte. Der Boden hinterließ immer sichere Spuren, man mußte sie nur richtig deuten. Waren Fohlen-und Kinderspuren zwischen den Abdrücken, bestand von vornherein keine Gefahr. Es war dann so, daß ein ganzer Stamm mit Frauen und Kindern auf einem Jagdzug begriffen war, um Fleisch für den Winter zu beschaffen und zu trocknen. Jagende Indianer wollten nichts anderes als allein gelassen werden; sie würden nicht schießen, es sei denn, man beschösse sie zuerst. Stammten alle Spuren nur von Männern und ausgewachsenen Pferden, dann hieß das, daß sich ein Stamm oder ein Teil eines Stammes auf dem Kriegszug befand. In diesem Fall mußte man die Richtung feststellen, in der die Spuren verliefen, und selbst die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Denn es war immerhin nicht ratsam, Indianern auf dem Kriegspfad zu begegnen. Aber die Indianer waren nicht oft auf dem Kriegspfad, und in dieser Jahreszeit schon gar nicht; da dachten sie im allgemeinen nur an die Jagd. »Du bist hier noch ein Greenhorn, Darling«, sagte Oliver. »Wenn ein Greenhorn etwas von Indianern hört, denkt es gleich ans Schießen. Das ist Unsinn. Schießen ist immer der allerletzte Ausweg.« Nach dieser Aufklärung verlor Garnet den letzten Rest von Bangigkeit. Trotzdem übte sie sich fleißig im Gewehr-und Pistolenschießen. Sie lernte es schnell, einen Baum auf zehn Meter Entfernung mit Sicherheit zu treffen. Die Männer grinsten, wenn sie sie sahen, sie lachten ein bißchen nachsichtig und meinten, sie sei im Begriff, ein richtiger Grenzer zu werden. Es waren verwegene Kerle, eine zähe Bande hartgesottener Präriegänger, und ihre ruchlosen Reden waren für Garnets Ohren ungewohnte Kost, aber sie verstanden ihr Geschäft und wußten jederzeit, was zu tun war. Sie gefielen ihr von Tag zu Tag besser. Alles auf dieser Reise war fremd und sonderbar, aber alles war faszinierend und großartig. Oliver bewunderte seine tapfere junge Frau und verehrte sie grenzenlos. Die anderen Männer sagten, er habe den Vogel abgeschossen und sei glücklich zu preisen, so ein Weib gefunden zu haben. In ihrem ganzen Leben hatte Garnet nicht so aufregende Tage erlebt. Es war, als sei plötzlich die Welt vor ihr aufgetan wie ein wundervoller, strahlender Morgen. Am zehnten Tage des Mai setzte sich der große Wagenzug in Bewegung. Es war früh am Morgen; die aufgehende Sonne warf rote Strahlenbündel über das duftende Präriegras. Wagen um Wagen ruckte, schwerfällig an und fuhr in die offene Weite, in die großartige Ödnis hinein.
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