Kalifornische Sinfonie
strahlte dieses leuchtende Blau über die Karawane, mitleidlos Hitze verströmend. Die Erde war ausgedörrt, sie brachte nichts hervor als kleine Büschel des harten Büffelgrases, das selbst die Ochsen verschmähten. In ein oder zwei Tagen würden sie im Reich der Steine und Felsen sein. Hier war weit und breit kein Stein. Hier war nichts als Wüste und Staub.
Es war merkwürdig: der Boden, den man unter den Füßen hatte, schien alles andere als flach; er wimmelte von Schlaglöchern und Unebenheiten. Aber rechts und links des getrampelten Pfades wirkte das Land flach und glatt wie ein Bogen Papier. In endloser Ferne meinte Garnet die Kontur des Gebirges zu sehen, eine dünne Linie, wie ein Streifen grauen Musselins vor dem klarblauen Himmel.
Alles Leben rundumher schien erstarrt; selbst am fernsten Horizont vermochte Garnet keinerlei Bewegung zu erkennen. Sie sah nichts außer dem flirrenden Licht, dem rauhen Büffelgras, den weiß schimmernden Knochenresten verendeter Büffel und dem grauen Streifen am Horizont. Wenn man zurückblickte, schien die Karawane nicht eine Meile lang, sie wirkte vielmehr wie ein kleiner Wurm, der langsam durch eine einsame Wüste kroch.
Ließ man den Blick frei durch die Ebene schweifen, vergaß man das Geschrei und Gebrüll, das Rollen und Knarren und Stampfen rundherum, und es war, als lebe man inmitten einer atmenden Stille. Die Stille schien so groß und so erhaben wie die Einsamkeit, man spürte förmlich, wie sie wuchs. Es war fast erschreckend, als lauere eine heimliche Drohung dahinter. Es wurde einem jählings bewußt, daß man durch eine achthundert Meilen lange Ödnis dahinfuhr und daß man mitten in dieser endlosen Einsamkeit steckte. Daß man keine Möglichkeit der Umkehr hatte. Man konnte den Weg nicht zurückgehen, wenn man meinte, die Stille und Einsamkeit nicht mehr ertragen zu können. Was auch immer geschah, man konnte immer nur weiterfahren. Wenn man krank wurde, wenn man im Sterben lag, man mußte weiter. Die Wagen konnten nicht halten, um einen Einzelnen in Frieden sterben zu lassen; sie mußten dem Pfad folgen. Selbst wenn man unterwegs starb, würden sie nur für wenige Minuten halten. Die Männer würden aussteigen, dem Toten ein schnelles Grab bereiten und weiterfahren. Sie mußten nach Santa Fé.
Oliver rief Garnet an. Sie wandte träge den Kopf. »Ja – was ist? Willst du Wasser?«
»Nein, ich habe noch. Aber du darfst nicht so in die Weite starren.«
Sie sah ihn verblüfft an. »Warum? Was meinst du denn? Es ist ja nichts da, worauf ich starren könnte.«
»Eben das meine ich. Das Nichts ist gefährlich. Es packt dich.«
»Das – verstehe ich nicht.«
»Die Stille«, sagte Oliver, »die Einsamkeit. Ich habe die Worte nicht, es dir zu erklären. Aber erinnerst du dich, wie du bei meinem Anruf eben zusammenfuhrst?«
»Ja«, sagte sie, »es erschreckte mich. Ich hatte gar nicht mehr an dich gedacht. Ich hatte der Stille nachgedacht.«
»Das ist es. Denke nicht mehr daran. Denke an Santa Fé. Es wird schön werden dort. Wir werden großartige Tage erleben.« Er wandte sich wieder den Mauleseln zu und fuhr fort: »Sobald wir das Gebirge erreichen, werden wir berittene Boten nach Santa Fé vorausschicken, um herauszubekommen, was für neue Steuern sich Señor Armijo ausgedacht hat, um uns zu begaunern. Das ist notwendig, damit wir uns entsprechend einrichten können. Santa Fé selbst wird ein Spaß werden. Während wir da sind, wird jedes Haus dort eine Kneipe oder eine Spielhölle sein.«
»Wirst du mich in solche Häuser mitnehmen?«
»Selbstverständlich werde ich dich mitnehmen. Ich werde dir alles zeigen. Wir selbst werden bei einer Familie Silva wohnen. Die Silvas sind nette Leute; ich habe jedes Jahr, wenn ich in Santa Fé war, bei ihnen gewohnt.«
Der Weg wurde besser und die Maulesel ruhiger. Garnet zwang sich, den Blick aus der Endlosigkeit zu lösen, die sie magisch anzog. Oliver sagte: »Bald nach uns werden auch die Kalifornienhändler in Santa Fé eintreffen. Das ist eine verwegene Bande, aber ich denke, du wirst Freude an den Jungen haben. Da ist John Ives zum Beispiel, mein Geschäftspartner. Er ist anders, er würde sich im Salon deiner Mutter zu Hause fühlen. Die meisten freilich sind Hinterwäldler, die von einer Stadt wie New York merkwürdige Vorstellungen haben. Sie sind überzeugt, jedermann verzehre dort schon zum Frühstück Champagner und Stachelbeertorte, und alle Frauen seien wie Florinda gekleidet.«
Als er
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