Kalifornische Sinfonie
mehr da wären. Aber die Leute in Kalifornien halten nicht viel von der Arbeit, sie begnügen sich lieber mit dem geringeren Ertrag.«
»Oh, ich fange an zu begreifen«, sagte Garnet langsam, »dein Bruder ist kein Kalifornier.«
»Charles ist ein Yankee«, sagte Oliver. »Er liebt die Arbeit. Er liebt es, zu organisieren und zu regieren. Und Kalifornien – wer hat schon davon gehört? Aber die imperialistischen Regierungen wissen: es ist da. Und sie wissen auch, daß Mexiko nicht in der Lage ist, die Provinz zu verteidigen. Der Vereinigten Staaten unterhalten bereits ein Konsulat in Monterey – das ist die Hauptstadt von Kalifornien. Die britische Regierung hat mehrmals Schiffe ausgesandt, um die Küste zu erforschen. Und die Russen haben an der nördlichen Grenze Pelzstationen errichtet.«
»Oh!« rief Garnet. »Du meinst, irgendeine andere Regierung könnte eines Tages den Versuch unternehmen, das Land zu erobern?«
»Ich glaube, daß Kalifornien einem etwaigen Eroberer wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen würde«, sagte Oliver. »Dann werden die eingesessenen Grundherren große Augen machen. Sie haben bisher in einer Art Märchen-Arkadien gelebt. Sie haben bisher weder eine Bank, noch eine Zeitung, noch ein Wahllokal zu sehen bekommen. Ein großer Grundbesitzer aber, der Einfluß auf die Eingesessenen hat und über große Erfahrung im Handel und in der Politik verfügt, der das Leben und den Betrieb in modernen Ländern kennt, so ein Mann könnte im Falle einer fremden Invasion leicht eine bedeutende Rolle spielen.«
Garnet mühte sich, das Gehörte zu verarbeiten. Sie sagte: »Ich glaube zu verstehen. Kalifornien steht vor einer Wende. Es ist im Begriff, von einem der großen, modernen Staaten geschluckt zu werden. Bevor das geschieht, möchte dein Bruder Charles es zum ersten und bedeutendsten Mann in der Provinz gebracht haben. So, daß die neue Regierung auf ihn angewiesen wäre, ihn möglicherweise als eine Art Vizekönig einsetzen würde?«
»Du triffst es genau. Frage mich nicht, warum Charles das will. Ich verstehe es selber nicht. Ich bin anders als Charles. Er ist einmal so. Es ist sein Leben.«
Garnet zog die Knie unter das Kinn und sah in die Dunkelheit. »Ich verstehe das alles«, sagte sie nach einer Weile, »aber – Oliver, ich begreife nicht, was das mit mir zu tun hat. Wenn Charles Wert darauf legt, König von Kalifornien zu werden – ich werde ihn gewiß nicht daran hindern.«
»Es ist etwas schwierig«, sagte Oliver. Er rutschte unruhig hin und her. »Paß auf, Garnet. Es gibt Macht, die sich auf Besitz gründet, und Macht, die sich auf das allgemeine Ansehen stützt, das ein Mensch genießt. Die großen eingesessenen Rancheros respektieren Charles, sie begegnen ihm mit ausgesprochener Ehrerbietung. Trotzdem ist er unter ihnen ein Fremder. Sein Ehrgeiz geht dahin, einer der Ihren zu werden.« Oliver hielt inne. Er tastete wieder nach Garnets Hand und drückte sie.
»Was – willst du sagen?« flüsterte Garnet.
Sie hatte das Gefühl, Oliver müsse sich zu einer Antwort zwingen. Er sagte schließlich leise, fast tonlos: »Charles hat sein Herz an den Gedanken gehängt, durch eine Heirat mit einer der großen kalifornischen Familien verbunden zu werden.«
»Ja – aber – warum sollte mich das beunruhigen?« fragte Garnet. Dann plötzlich begriff sie und erstarrte. »Oliver –, flüsterte sie, »du meinst, er denkt dabei – auch an dich?«
Oliver preßte ihre Hand. »Ich hätte dir das früher sagen sollen. Es ist so: Ich habe die Hoffnungen zunichte gemacht, die Charles auf mich setzte. Ich bin weggegangen und habe ein amerikanisches Mädchen geheiratet. Und ich werde – deinetwegen – nächstes Jahr Kalifornien verlassen und zukünftig wieder in den Staaten leben.«
»Großer Gott!« stöhnte Garnet. Sie entzog ihm ihre Hand und setzte sich auf. »Meinst du, Charles hätte von dir verlangt, irgendein Mädchen zu heiraten, nur weil sie eine Ranch hat und ohne Rücksicht darauf, ob du sie liebst oder nicht?«
»Du kennst Charles nicht«, sagte Oliver. »Er wird nie begreifen, wie man ein Mädchen einer Ranch vorziehen kann.«
Garnet schüttelte den Kopf. »Warum, um alles in der Welt, heiratet er nicht selbst eine Ranch?« fragte sie.
»Er wird sehr wahrscheinlich eine Rancherotochter heiraten. Oder er wird, für den Fall, daß Kalifornien in einem anderen Staat aufgeht, eine reiche Frau des Landes heiraten, das Kalifornien annektiert. In jedem Fall wird er, wenn er
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