Kalifornische Sinfonie
sein, wenn er erführe –; sie zögerte, unsicher, wie sie den angefangenen Satz beenden solle. Florinda versetzte mit einem wissenden Lächeln:
»Vermutlich würde er mich hinauswerfen, Männer von Bartletts Art habe ich früher schon kennengelernt.« Sie stand auf, kam zu Garnet herüber, beugte sich über sie und küßte sie leicht auf die Schläfe. »Machen Sie sich um Gottes willen meinetwegen keine Sorgen, mein Engel«, sagte sie. »Ich bin schon oft in meinem Leben in heiklen Situationen gewesen. Ich mache mir niemals Sorgen, solange kein Unglück geschieht.«
Sie erblickte ihr Bild im Spiegel und strich sich glättend über das Haar. Das Haar war ordentlich gekämmt, es war nichts daran zu tun, aber Florinda konnte keinen Spiegel sehen, ohne hineinzublicken. Sie betrachtete sich jedesmal mit einem solchen Entzücken an ihrer eigenen Person, daß Garnet sich verwundert fragte, wie so etwas nur möglich sei. Sie vermochte dieses Entzücken nur mit der inneren Befriedigung zu vergleichen, die jemand beim Lesen großer Dichtung oder beim Hören hervorragender Musik empfand. Florinda lächelte ihrem Spiegelbild glücklich zu und nahm ihre Arbeit wieder auf.
»Was meinen Sie, Garnet?« fragte sie, »ist dieser Saum wohl gerade?«
»Ich glaube schon. Trotzdem sollten Sie den Rock anprobieren, bevor Sie ihn umnähen.«
»In Ordnung. Sie können dann begutachten, ob er richtig sitzt. Aber dann muß ich gehen. Ich muß Mr. Bartlett eine kalte Packung machen.«
»Kommt er denn immer noch in solchem Zustand nach Hause?« rief Garnet entsetzt.
»Mehr oder weniger schon. Jedenfalls hat er es gern, wenn ich zur Stelle bin, wenn er mich braucht.«
Sie probierte den Rock an, legte ihn dann wieder zusammen und verabschiedete sich.
Bald nachdem sie gegangen war, kam Oliver heim. Er sagte, er sei Florinda auf der Straße begegnet; sie sei von einem halben Dutzend angeheiterter Händler begleitet gewesen. Er goß sich eine Tasse voll Wein, setzte sich auf die Tischkante und baumelte mit den Beinen.
»Garnet«, sagte er, »da ist noch etwas, was ich dir sagen wollte – im Zusammenhang mit Florinda.«
»Du hast doch hoffentlich nichts dagegen, wenn sie mich hier besucht?« fragte Garnet bestürzt. Es war ihr zu Ohren gekommen, daß einige Händler sich überrascht gezeigt hatten, daß sie und Florinda befreundet waren.
»Oh, dagegen habe ich gar nichts«, antwortete Oliver. »Ich mag sie selber sehr gern. Ich möchte nur, daß du sie – Charles gegenüber nicht erwähnst, wenn wir auf der Ranch sind.«
Garnet bückte sich, um ein paar Fäden vom Fußboden aufzuheben. »Oliver«, sagte sie, noch auf den Knien hockend, »was ist das nun wieder mit Charles?«
»Was soll es sein: Nichts! Es ist nur so: Charles stammt von den alten Bostoner Puritanern ab.«
»Das gilt für dich doch in gleicher Weise.«
Oliver lächelte sie über den Tassenrand hinweg an. »Schon«, sagte er, »aber Charles ist selber noch ein Puritaner.«
Es war inzwischen dunkel im Zimmer. Señora Silva erschien mit einem Leuchter, und Garnet entzündete die blaue Tonlampe auf dem Tisch. Sie setzte sich auf die Wandbank.
»Willst du sagen, dein Bruder Charles sei so wie – Mr. Bartlett zu Hause in St. Louis?« fragte sie.
»Nun, ähnlich schon. Nur – Charles ist immer so.« Er wandte sich ihr zu wie ein Mann, der einem Kind eine Sache erklären will. »Hör zu, Garnet«, sagte er. »Warum sollte man Charles mit Dingen belästigen, die er nie verstehen könnte? Er würde nie begreifen, daß du eine Frau wie Florinda magst.«
»Warum?« fragte Garnet.
»Weil – o du großäugige Unschuld! – weil du eine ehrbare Frau bist. Frauen wie du sollten wünschen, daß Frauen wie Florinda eingesperrt würden. Und wenn ihr sie schon nicht einsperren lassen könnt, dann solltet ihr sie wenigstens ignorieren. Verstehst du das nicht?«
»O ja, wie sollte ich das nicht verstehen! Es ist ja genau das, was man mich mein Leben lang gelehrt hat. Aber dann habe ich Florinda kennengelernt und an meinen bisherigen Ansichten über solche Dinge hat sich sehr viel geändert.«
»Schön«, sagte Oliver geduldig, »und das ist eben der Unterschied zwischen dir und Charles. Du kannst deine Ansichten und Meinungen ändern. Charles kann das nicht. Er ist, wie er ist. Du wirst dich an ihn gewöhnen.«
Garnet dachte nach. »Oliver«, begann sie schließlich zögernd mit einem Anflug heimlicher Erbitterung; indessen, er ließ sie nicht zu Worte kommen; er fuhr fort, auf
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