Kalifornische Sinfonie
sie einzureden. »Paß auf, Garnet«, sagte er, »wenn du eines Tages nach New York zurückkommst – wirst du deiner Mutter erzählen, daß deine häufigste Besucherin in Santa Fé ein Varietéstar war, der unverheirateterweise mit einem Händler zusammenlebte?«
Garnet strich mit der Hand über den Fuß der Lampe. »Nein«, sagte sie langsam, »nein, ich glaube nicht, daß ich das tun würde. Aber –
Sie zögerte. Sie hatte das Gefühl, hinter diesem ›Aber‹ seien noch viele Fragen offen. Oliver mochte es leugnen, soviel er immer wollte; sie wußte jetzt: er war bange vor Charles. Noch hier, an die tausend Meilen von Kalifornien entfernt, fürchtete er sich vor einem etwaigen Mißfallen seines Bruders. Ganz so, als wäre er ein kleiner Junge und Charles sein Lehrer. Sie verstand das nicht und sie billigte es auch nicht.
Während Oliver ins Schlafzimmer ging, um sich für das Abendessen zurechtzumachen, hockte Garnet sich auf die Wandbank und dachte nach. Dieser fremde und peinliche Gedanke, der ihr schon unterwegs gekommen war, als Oliver ihr von Charles und seinem Wesen erzählte, war jetzt verstärkt wieder da. Sie versuchte ihn zu verscheuchen. Aber er war da und er blieb da, peinlich und häßlich. Es war der Gedanke, Oliver sei vielleicht nicht so stark und so furchtlos, wie er ihr erschienen war, als sie ihn heiratete. Sie wollte vor sich selbst noch nicht zugeben, daß es etwas geben könnte, wovor Oliver sich fürchtete. Und sie befahl sich schließlich selbst, nicht mehr an diese Möglichkeit zu denken.
Vierzehntes Kapitel
Sie waren nun schon zwei Wochen in Santa Fé. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, bis die Mauleselkarawane aus Kalifornien eintraf. Vorher wollte Oliver noch eine Warenladung nach Taos hinaufbringen, sechzig Meilen nördlich von Santa Fé. Gemeinsam mit mehreren anderen Händlern belud er eines Tages eine größere Anzahl Packmaulesel und brach auf. Er versprach, schon in wenigen Tagen zurück zu sein.
Die Kalifornier trafen in Santa Fé ein, bevor er zurück war. Garnet saß eines Morgens aufrecht im Bett und trank die Schokolade, die ihr eines der Silvamädchen gebracht hatte, als sie von draußen Lärm und Getöse hereindringen hörte. Das Silvamädchen rief aufgeregt: »La carawana de California!« und stürzte durch die Extratür auf die Verbindungsstraße hinaus.
Garnet zog sich an, so schnell sie konnte. Sie war sehr begierig, die Männer zu sehen, mit denen sie für den Rest ihrer Reise zusammen sein würde. Die Plaza war voller Menschen. Eine riesige Mauleselkolonne zog durch die Stadt; Männer, Frauen und Kinder schrien und winkten den Ankömmlingen begeistert zu. Und immer mehr Maulesel kamen von den Pässen herunter, bepackte und unbepackte. Schreiende Männer trieben die unbepackten Maulesel zu Herden zusammen und führten sie auf offene Weiden an den Abhängen, oberhalb der Stadt; die Kolonnen der schwer bepackten Tiere trotteten mühselig zur Plaza herunter, von fremdartig anmutenden Männern geführt. Es waren ihrer so viele, daß Garnet kaum einen flüchtigen Überblick bekam.
Unter den einziehenden Händlern waren sowohl eingesessene Kalifornier als auch Yankees, aber die einen waren von den anderen einstweilen nicht zu unterscheiden; sie sahen samt und sonders wie Wilde aus. Sie hatten einer wie der andere kupferrot verbrannte Gesichter, zerzauste Haare und wild wuchernde Bärte; sie trugen einer wie der andere schmuddelige, zerrissene Hemden, bauschig herabfallende farblose Hosen und hohe Stiefel, an denen der Staub der Berge hing. Sie trugen ausnahmslos schwere Pistolen an der Seite, deren handgerechte Kolben aus den Halftern heraussahen. Garnet gewahrte einige Männer mit blondem Haar und rostroten Bärten; das waren vermutlich Yankees; im übrigen unterschieden sie sich nicht im geringsten von den anderen. Es war ein heilloses Gebrüll. Die Männer schrien auf die Maulesel ein und riefen sich untereinander Bemerkungen zu; sie winkten und riefen den Leuten am Straßenrand Grüße zu; dabei lachten sie, ließen die Muskeln spielen und zeigten blitzende Zähne. Hier und da bog sich einer der Männer aus dem Sattel herab, um nach einem hübschen Mädchen zu haschen; da und dort ertönte rauher Gesang, und obwohl alle Ankömmlinge ohne Ausnahme wilde und rauhe Gesichter hatten und wie Räuber aussahen, spürte man, daß sie innerlich strahlten, und Gebrüll und Gesang und Gelächter verschmolzen zu einer großen triumphalen Sinfonie: Hurra! Wir sind da!
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