Kalix - Die Werwölfin von London
antwortete Kalix. »Ich mag es einfach nicht.«
»Als ich klein war, hat meine Mutter mir die Haare gekämmt«, sagte Moonglow. »Deine nicht?«
»Nein.«
Als das mühsame Haarewaschen geschafft war, säuberte Moonglow vorsichtig Kalix' Nasenring und achtete darauf, ob die Dreckkruste auch keine Infektion hervorgerufen hatte. Alles sah gesund aus, und als sie Kalix ein Kompliment dazu machte, schien es die Werwölfin zu freuen.
Etwas später kam Kalix in einem Morgenmantel von Moonglow die Treppe herunter. Sie sah frisch und sauber aus. Ohne die Dreckschicht war sie extrem blass. Ihre riesigen, dunklen Augen wirkten noch markanter, und nachdem man die Form ihrer Wangenknochen jetzt deutlich erkennen konnte, musste Moonglow Daniels Beschreibung zustimmen. Kalix war wirklich eine außer 40
gewöhnliche Schönheit. Ihr Mund war ungewöhnlich breit, und ihr Haar, jetzt sauber und glatt, war erstaunlich lang. Als sie es trocknete und kämmte, bekam es immer mehr Volumen, bis es sich um ihren Körper lockte. Die üppige, dunkle Mähne machte Moonglow sogar etwas neidisch, obwohl sie mit ihrem langen, schwarzen Haar selbst überall bewundert wurde.
»Habt ihr etwas zu trinken?«, fragte Kalix plötzlich.
»Wir haben Bier«, antwortete Daniel, der ein paar Dosen eingepackt hatte, um sich vom anstrengenden Umzug zu erholen.
»Möchtest du etwas essen?«, fragte Moonglow.
Kalix schüttelte den Kopf. Sie wollte nur Bier.
»Du solltest aber was essen«, sagte Moonglow, doch Kalix antwortete nicht.
Von der Wand verströmte ein Kaminofen starke Hitze. Kalix setzte sich davor, trank ein Bier und nahm die Wärme in sich auf. »Willst du bei uns bleiben?«, fragte Moonglow unvermittelt. Kalix blickte sich erstaunt um. »Was?
»Du könntest bei uns wohnen.« Kalix schüttelte den Kopf.
»Kann ich nicht. Es war dumm von dir, mich das zu fragen.«
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Es klingelte an der Tür. Kalix spannte den Körper an, bereit, zu kämpfen oder zu fliehen.
»Schon gut. Wir haben eine Pizza bestellt.«
Daniel bezahlte die Pizza und brachte sie nach oben. Einen Moment lang betrachteten sie die Schachtel.
»Das ist ein bedeutender Augenblick«, verkündete Moonglow.
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»Die erste Pizzalieferung in unsere neue Wohnung.«
Daniel und Moonglow waren vollkommen abhängig von Pizzadiensten. Beide besaßen den gesunden Appetit von Teenagern, aber absolut keine Lust zu kochen. Daniel öffnete die Schachtel, riss ein Stück mit den Fingern ab und stopfte es sich in den Mund.
»Schmeckt gut«, sagte er mit vollem Mund.
»Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Moonglow. Mit der ersten Pizza zum Frühstück fühlten sie sich in der neuen Bleibe gleich heimisch. Sie freuten sich, dass sie umgezogen waren. Die schäbige Wohnung über einem kleinen Laden war im Grunde nicht besser als die letzte, aber immerhin hatten sie keine Schulden mehr.
»Warum kannst du nicht bleiben?«, fragte Moonglow.
Kalix sagte, es sei zu gefährlich, wollte es aber nicht näher erklären.
»Warum wollen deine Verwandten dich umbringen?«, wagte Daniel sich vor.
»Das ist Privatsache der MacRinnalchs«, sagte Kalix.
»Aber können wir dir hier nicht Zuflucht gewähren?«
Kalix schüttelte den Kopf.
»Sie können mich überall finden.«
»Wie hast du so lange überlebt?«
»Ich hatte einen Talisman, ein Amulett. Meine Schwester hatte es mir gegeben.
Damit war ich unauffindbar. Aber ich habe es verloren. Jetzt kann ich mich nicht mehr verstecken. Besonders nicht als Werwölfin.«
»Kann ich dich was fragen?«, fragte Moonglow. »Wieso konntest du dich heute Nacht verwandeln? Wir haben doch keinen Vollmond.«
Kalix sah Moonglow leicht abschätzig an.
»Ein reinblütiger MacRinnalch-Werwolf kann sich in jeder Mondphase verwandeln.«
»Ach so. Gibt es welche, die das nicht können?«
Offenbar gab es die. Kalix zufolge brauchten viele der schottischen Werwölfe tatsächlich den Vollmond, um sich verwandeln zu 41
können. Wer nicht so reinblütig wie Kalix war, konnte in der Nacht vor dem Vollmond, der eigentlichen Vollmondnacht und der Nacht danach seine Gestalt verändern.
»Das sind die Wolfsnächte. Aber die brauche ich nicht. Ich kann das in jeder Nacht.«
»Beherrschen alle Werwölfe Kung-Fu?«, fragte Daniel.
»Was?«
»Wie du diese Typen getreten hast. Woher kannst du so kämpfen? Können Werwölfe das instinktiv?« »Nein. Jemand hat es mir beigebracht.« »Wer?«
Offenbar war das wieder eine schlechte Frage, und Kalix wirkte verstimmt. Sie wollte
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