Kalix - Die Werwölfin von London
Bettlaken gekauft oder einen Kalender aufgehängt. So etwas war für ihn bedeutungslos.
Für ihn zählte allein die Jagd auf Werwölfe.
Mr Mikulanec blieb von seinem Besuch in Großbritannien bislang unbeeindruckt. Die große Burg MacRinnalch zum Beispiel war noch unversehrt, beinahe unangetastet. Die Gilde schätzte einen Angriff als zu schwierig ein.
Mikulanec fragte sich, was sein Vater wohl dazu gesagt hätte. Sein Vater hätte keinem verfluchten Werwolf eine sichere Zuflucht gelassen. Zusammen mit seinen Landsleuten hatte er fast alle aus dem Land gejagt und die Plage vertrieben.
Die Gilde, das gestand er ihr zu, war gut organisiert und besaß eine gewisse Macht. Aber dem Kampf gegen die MacRinnalchs
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war sie bislang nicht gewachsen. Mr Carmichael hatte angedeutet, Mikulanec würde die Stärke der MacRinnalchs vielleicht unterschätzen, aber diesen Einwand hatte Mikulanec beiseitegefegt. Es gab nichts, was er über Werwölfe nicht wusste. Und er wusste einiges, von dem die Gilde keine Ahnung hatte. Er hatte während der Beerdigung des Fürsten nach Schottland fahren wollen, aber die Gilde hatte davon abgeraten. Sie hätte ihre eigenen Leute dort, hieß es, und wollte nicht, dass ein Fremder ihren Einsatz verriet. Mikulanec war wütend geworden und hatte überlegt abzureisen, obwohl er es kaum über sich gebracht hätte, sich von einem solchen Land loszureißen. Es gab hier so viele Werwölfe.
Mikulanec konnte nicht gehen, bevor er etwas dagegen unternommen hatte.
Und jetzt ging es um die Werwolfprinzessin. Die Gilde war ihr gefolgt, hatte ihre Spur aber verloren. Mr Carmichael hatte Mikulanec aufgefordert, sein Können unter Beweis zu stellen, indem er sie aufspürte.
»Sehr schön«, dachte Mr Mikulanec. »Ich werde das Mädchen finden und töten.
Dann erkennt die Gilde vielleicht, dass sie mich nicht aus ihrem engsten Kreis ausschließen sollte.«
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Burg MacRinnalch und die umliegenden Ländereien wimmelten von Werwölfen. Selten hatten sich so viele an einem Ort versammelt. Es war lange her, dass alle zum Begräbnis eines Fürsten zusammengekommen waren, und seitdem war der Clan noch gewachsen.
Verasa stolzierte in den Ratssaal. Sogar als Werwölfin ging sie aufrecht. Es war nicht einfach, sich in Wolfsform ganz gerade zu halten, aber Verasa weigerte sich schlicht, wie ein grobschlächtiges
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Tier zu gehen. Sie rechnete für die Sitzung nicht mit Überraschungen. Kurian, der Bruder des Fürsten, würde auf keinen Fall für einen anderen als Sarapen stimmen. Genau wie sein Sohn Kertal und seine Tochter Marwanis. Sie waren extrem traditionell eingestellt, und obwohl Verasa das in mancherlei Hinsicht frustrierend fand, bewunderte sie die drei zugleich. Vor allem Marwanis, eine intelligente junge Frau, die Schönheit und Klasse besaß. Mit ihrem dunkelbraunen Haar, den großen haselnussbraunen Augen, der perfekten Haut und der schlichten, aber geschmackvollen Kleidung verkörperte sie von Kopf bis Fuß das weibliche Ideal der herrschenden Familie. Ganz im Gegensatz zu einigen anderen Mitgliedern der jüngeren Generation, dachte Verasa mit Bedauern.
Verasa setzte sich neben Rainal. Sie schenkte sich Whisky aus der Kristallkaraffe ein, die vor ihr stand. Edler Whisky von den Ländereien des Clans und edles Kristall aus Frankreich. Hughan MacRinnalch, ein Onkel des verstorbenen Fürsten, hatte es vor über dreihundert Jahren importiert.
In der Festhalle der Burg hing ein großes Porträt von Hughan MacRinnalch. Der Clan hatte gute Gründe, sich voll Wohlwollen an ihn zu erinnern. Er war als erster Werwolf der modernen Epoche zum Geschäftsmann geworden und hatte im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert den Grundstock für den heutigen Reichtum des Clans gelegt. Die Ländereien der MacRinnalchs waren ohnehin von großem Wert, aber Hughan hatte den Reichtum des Clans mit Außenhandel, Bankgeschäften und Handel an den neuentstandenen Börsen in Edinburgh und London noch ungeheuer gesteigert. Als die industrielle Revolution in den 1760ern richtig in Schwung kam, konnte Hughan groß investieren, und der Wohlstand des Clans wuchs noch weiter an durch Schifffahrt, Eisenhütten und die neuen Industriezweige. Während die meisten Adligen des Landes über Handel und Gewerbe die Nase rümpften, hatten die MacRinnalchs noch nie eine Möglichkeit verschmäht, Geld zu verdienen.
Am Tisch machte sich Ungeduld breit. Da alle Wolfsgestalt 109
angenommen hatten und der Mond beinahe voll am Himmel stand,
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