Kalix - Die Werwölfin von London
ihre Sitze im Rat an Werwölfe gehen, die für Sarapen stimmten.
»Jetzt sollte ich mir wohl über Gawain Gedanken machen.«
»Warum ist er überhaupt zurückgekommen?«, grummelte Markus.
»Wer weiß? Aber das wird er mir jetzt sicher gern erzählen. Der Kerker ist kein sehr angenehmer Ort. Und wird heutzutage zum Glück nur noch selten genutzt. Ich glaube, dort war niemand mehr zu Gast, seit der jüngste Neffe von Baron MacGregor betrunken die nördliche Burgmauer hinunterklettern wollte.
Und ihn habe ich nur eingesperrt, weil der Baron ihm eine Lektion erteilen wollte.«
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Kalix war das Laudanum ausgegangen. Sie brauchte dringend Nachschub. Dafür würde sie in den Osten Londons gehen müssen, wo der junge MacDoig versteckt in Limehouse einen kleinen Laden betrieb. Laudanum war aus dieser Welt beinahe verschwunden. Die Opiumtinktur war anderen Drogen wie Heroin und Kokain gewichen. Niemand wusste, woher die MacDoigs ihre Ware bezogen. Vielleicht nicht aus dieser Welt. Der Preis, den sie verlangten, war dafür jedenfalls hoch genug. Ihre erste Flasche damals in Schottland hatte ihr der Krämer billig überlassen. Als Gefallen, hatte er gesagt.
Weil sie den Jägern ihre Brieftaschen abgenommen hatte, besaß Kalix genug Geld, und sie überlegte, wie sie am schnellsten nach Limehouse kam. Kalix war oft durch die ganze Innenstadt gelaufen, aber sie konnte auch mit der U-Bahn oder dem Bus fahren, wenn es nötig war. Mit der U-Bahn wäre sie schneller. Sie lief
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zur Victoria Station und kaufte eine Fahrkarte nach Limehouse, nachdem sie auf dem Linienplan der U-Bahn an der Wand nachgesehen hatte. Kalix mochte den Linienplan. Mit den verschiedenfarbigen Strichen für jede Linie war er deutlich und einfach zu verstehen, sogar, wenn man so wenig lesen konnte wie sie. Sie nahm die Circle Line bis nach Tower Hill und stieg für die letzten zwei Haltestellen in die Docklands Light Railway um.
Vor hundert Jahren hatten hier unten am Fluss die Opiumhöhlen der Hauptstadt gelegen. Sie waren längst verschwunden, aber hier und da hatten sich ein paar Eckchen Überreste der Vergangenheit erhalten. Kalix ging hinunter zur Narrow Street am Ufer und verschwand in einer winzigen Gasse.
Weit hinten, im Dämmerlicht kaum zu sehen, befand sich eine schwarze Tür.
Kalix klingelte vier Mal, dann wartete sie. Als die Tür geöffnet wurde, schlurfte Kalix hindurch.
Sie betrat einen kleinen Raum voller Artefakte, die zum Teil uralt waren und zum Teil nicht zu erkennen. Manche Dinge waren offenkundig kostbar, andere wirkten wertlos. Wahrscheinlich waren sie irgendwem irgendwo von Nutzen.
Der Krämer war ein geschickter Händler mit einem guten Riecher für Profit.
Kalix hatte ihm gelegentlich gestohlene Sachen verkauft, und er hatte nie groß gefragt, woher sie stammten. Sogar Verasa hatte dem Krämer schon Kunstwerke abgekauft, und einige Stücke in Burg MacRinnalch hätte man auf ihren rechtmäßigen Besitz hin nicht zu genau prüfen dürfen.
Kalix wurde vom jungen MacDoig eingelassen. Sein Vater, Krämer MacDoig, war bereits im Raum. Krämer MacDoig war ein enorm korpulenter und überschwänglicher Mann. Passend zur angejahrten Umgebung hatte er einen Anzug an, der im neunzehnten Jahrhundert aus der Mode gekommen war, und dazu einen schwarzen Hut. Er trug einen Backenbart und hatte einen Stock bei sich. Damit wirkte er wie eine Figur von Dickens, allerdings nicht finster, sondern eher freundlich. Sein Sohn war etwas kleiner, 136
besaß aber ebenfalls einen beachtlichen Leibesumfang und bevorzugte altmodische Kleidung. Anders als bei seinem Vater war sein dickes, rotes Haar noch nicht grau geworden. Beide strahlten, als sie Kalix sahen. Kalix sah sie ausdruckslos an. Sie traute keinem von beiden.
»Die junge Kalix MacRinnalch!«, rief Krämer MacDoig, als würde er eine langjährige Freundin begrüßen. »Wie schön, Sie wiederzusehen. Haben Sie mir heute etwas mitgebracht?« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu, entweder, weil er einen Scherz gemacht hatte, oder weil er wirklich dachte, Kalix könne etwas Wertvolles mitgebracht haben. Kalix schüttelte den Kopf.
»Erst vor kurzem habe ich Ihre reizende Mutter getroffen«, erzählte der Krämer weiter. Er sprach mit dem weichen, melodischen Akzent der Highlander.
Geboren wurde er in Nairn; wann, wusste niemand. Sicher vor so langer Zeit, dass er seine natürliche Lebensspanne überschritten hatte.
»Was für eine traurige Angelegenheit mit dem Fürsten!« Er
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