Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
untergegangenen Welt war es zu verdanken, dass Roor am Leben geblieben war. Ohne jemals einen Ton von sich zu geben, hatte sie den alten Mann in die Arme genommen, unter ihre Felle gebettet und dort mit ihrem Körper gewärmt. Unablässig hatte sie Roors Hände und Füße gerieben und mit ihrem Speichel die Wunden benetzt, die die Kälte in seine Haut gerissen hatte. Von den Vögeln und dem Fuchs hatten sie viele Tage gelebt. Sie hatten das Fleisch in Schneewasser gekocht, und die Frau hatte die Suppe Roor eingeflößt, bis das Fieber sank und er wieder feste Nahrung zu sich nehmen konnte. Sie selbst aß nichts und gab alles, was Atlin ihr zuschob, dem kranken Roor.
Genau an dem Tag, als sie das letzte Stück Fleisch verzehrt und alles Mark aus den abgenagten Knochen geschlürft hatten, legte sich der Sturm und es hörte auf zu schneien. Mauk ging hinaus, um nach Nahrung Ausschau zu halten und kam stolz mit zwei Zieseln und einem Vielfraß zurück. Als er die Höhle betrat, lag die fremde Frau reglos ausgestreckt zwischen Atlin und Roor. Mauk wusste sofort, dass sie tot war.
»Sie hat mir das Leben gerettet«, sagte Roor. »Lasst sie uns begraben wie eine der Unsrigen.«
In dieser Nacht war der warme Wind aufgekommen. Ungeduldig hatte Mauk zum Aufbruch gedrängt. Beim ersten Tageslicht hatten sie die Fremde bestattet, dann waren sie losgezogen. Ungläubig blinzelten sie in die helle Sonne. So endlos lange der Winter gedauert hatte, so plötzlichbrach der Frühling herein. Er war warm und erregend, und die Luft füllte sich mit frischen würzigen Düften. Das Schmelzwasser ließ die Bäche zu Flüssen anschwellen, die Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten die Ebenen. Mauk war ständig auf der Suche nach Nahrung. Doch wenn es ihm gelang, einen Vielfraß oder einen Vogel zu erlegen, dann waren es magere, vom Winter ausgezehrte Tiere, die den Hunger kaum stillten.
Dennoch, sie hatten überlebt, und sie waren auf dem Weg nach Süden!
IM LAGER DES LÖWENCLANS
K alla wählte als Heimweg nicht den schattigen Bachweg, sondern den Pfad, der entlang dem großen Felsmassiv verlief. Dieser Weg war kürzer, allerdings auch steiler und mühsamer, vor allem wenn man ein totes Reh mit sich schleppte. Hauptsächlich aber entschloss sie sich für den Felsenpfad, weil er eine gute Übersicht bot. Hier wuchsen keine Büsche oder Bäume, in denen sich ein Luchs oder ein anderes Raubtier verbergen und ihr die kostbare Beute streitig machen konnte.
Der Pfad war schmal und steinig. Immer wieder brachen kleine Geröllstücke unter Kallas Füßen weg, und oft musste sie stehen bleiben und die Schleiftrage von den Wurzeln und Erdklumpen befreien, die sich in den Stangen verfangen hatten. Als endlich die Höhlen in Sichtweitekamen, blieb sie stehen und legte eine Verschnaufpause ein.
Nur noch ein kurzes Stück schlängelte sich der Pfad an der Felswand entlang. Dann endete er bei den mächtigen, grauweiß gestreiften Felsüberhängen, die sich wie schützende Vordächer über die Höhleneingänge wölbten. Ihnen vorgelagert war ein Band von breiten Steinterrassen, auf denen sich der größte Teil des täglichen Lebens abspielte. Von allen Lagerstätten, die Kalla gesehen hatte, waren diese Felsenhöhlen die sichersten. Im Gegensatz zu den Zelten aus Rentierhaut war man in ihnen vor Kälte, Wind und Regen geschützt. Außerdem hielt der Geruch der Herdfeuer an den Höhleneingängen die Tiere fern. Von Vorteil war auch der Blick über das Tal sowie die drei Quellen, die aus schmalen Steinspalten sickerten und den Clan mit frischem Wasser versorgten.
Kalla war bei der ersten Höhle angelangt. Sie gehörte Ferigal, dem Werkzeugmacher. Er hatte die Höhle gewählt, weil ihr eine ungewöhnlich breite Terrasse vorgelagert war, die er als Werkstatt nutzen konnte.
Auf dem Boden lagen seine Werkzeuge aufgereiht: Stichel, Kratzer, Beile, Keile, Meißel, Bohrer. Daneben lagerten viele Arten von Steinen, glatte, körnige, glitzernde, graue, schwarze, weiße und farbige. Kalla hatte Ferigal oft bei der Arbeit zugesehen und dabei viel über die Steine gelernt. So kannte sie den Obsidian und wusste, dass er sich für die Herstellung von scharfen Klingen eignete. Sandstein wurde für Schleifsteine verwendet, Pechkohle für Amulette und Schmucksteine. Der Flintstein war der vielseitigste Stein. Aus ihm wurden scharfe Klingen, Schaber und dünne Bohrer gemacht, mit denen man Knochen und Geweihe bearbeitete. Außerdem hatte Ferigal
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