Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
vollständiges Rentiergebiss aus dem Bach gefischt, und ein anderes Mal hatte sie mit ihrem Freund Tomo ein riesiges Hirschgeweih an Land gezogen. Heute aber wollte sie vor allem Schnecken suchen, viele Schnecken, für mindestens zwei Ketten. Eine war für Ixi bestimmt, als Geschenk zur Geburt ihres ersten Kindes. Die andere sollte Tavilana bekommen. Blaga hatte gesagt, dass sie bald die große Reise zum Schwarzen Fluss antreten würde. Für diese Reise würde sie in die besten Kleider gehüllt werden, und man würde ihr vielerlei Vorräte mitgeben und schöne Geschenke, damit Tavilana keinen Mangel auf der großen Reise litt.
Kalla überprüfte den Inhalt des Findesacks. Das Wichtigste war das Flintmesser. Der Werkzeugmacher Ferigal hatte es ihr bei der Rückkehr als Willkommensgruß geschenkt: eine feine schmale Klinge mit einem Griff aus Hirschgeweih. Damit sie sich nicht verletzte, hatte Yonna ihr dazu eine Hülle aus Rehhaut geschenkt. Stolz streichelte Kalla den kostbaren Besitz. Mit dem Messer umzugehen fiel ihr wesentlich leichter als mit Fellen und Schnüren. Zwar hatten die Frauen immer wieder geduldig versucht, ihr beizubringen, wie man Hemden oder Taschen anfertigte, doch entweder hatte Kalla die Löcher für die Schnüre zu groß oder zu klein gebohrt oder das Leder zerfranste oder zerriss. Sosehr sie sich auch mühte, jeder Versuch war kläglich gescheitert. Als sie hingegen am Vortag den Hasen gehäutet hatte, hatte sie die Messerschneide leicht und flüssig durchs Fell geführt, und alle hatten gestaunt über ihre Geschicklichkeit.
Außer dem Messer befanden sich noch drei Wurfspeere im Beutel, dazu etliche Sehnenschnüre und Fellsäckchen sowie ein Wassersack. Kalla zog die Stirn kraus. Der Wassersack war aus einem Stück Magenhaut genäht, das von einem Mammut stammte; doch er war an einigen Stellen bereits undicht und würde nicht mehr lange zu gebrauchen sein.
Sie packte den Fellsack und lief hinaus. Es war feucht, daher beschloss sie, zuerst zum Bach zu gehen; nicht zu den großen felsigen Trittsteinen, sondern weiter nach unten, wo man den Bach auf glatten Kieseln überqueren konnte. Dort war die flachste Stelle des Bachbettes, und Kalla freute sich darauf, durch die nasse Erde zu waten und zuzusehen, wie der Schlamm schmatzend zwischen ihren Zehen herausquoll. Jetzt, wo es noch feucht war, würdendort auch die Schnecken leicht zu finden sein. Zu den Fallgruben konnte sie später noch gehen.
Inzwischen hatten sich die Nebel gelichtet. Die ersten Sonnenstrahlen huschten durchs Tal und schlüpften in die Spalten der Felshänge. Vögel hatten zu singen begonnen, und überall raschelte, fiepte und schnatterte es. Mäuse und Ziesel flitzten durchs Gras, und zahlreiche Fußspuren zeigten, dass auch viele andere Tiere längst unterwegs waren: Marder und Vielfraße, Lemminge, Schneehasen und Füchse. In der Ferne hörte Kalla vereinzelte Stimmen. Sie stammten von den jungen Männern des Clans. Sie waren auf dem Weg zum Grünen Fluss, um dort den Hohlweg für die Rentierjagd zu befestigen.
Kalla hatte den Bach erreicht. Ihr Gesicht glühte vor Aufregung. Sie liebte die späte Zeit des Sommers, wenn die Pilze sprossen und die Büsche prall von Beeren waren. In diesem Jahr waren Frühjahr und Sommer ungewöhnlich warm und sonnig gewesen. Klee und Kräuter waren üppig gewachsen, und die Tiere waren fett vom reichlichen Futter. In diesen Zeiten war es leicht, sich täglich Nahrung zu besorgen. Bald aber kamen die kalten Tage mit den langen Nächten. Da mussten die Jäger zuvor große Tiere erlegen, damit ausreichend Vorräte für den Winter angelegt werden konnten.
Am meisten aber freute sich Kalla auf das Treffen mit den anderen Clanen. Fast immer nämlich schlossen sich die Leute vom Hirschclan der Jagd an und meist auch die Sippe vom Wisentclan. Alle würden sie hier am Bach ihre Zelte aufbauen, und es würde lebhaft zugehen. Dann saßen die Frauen beisammen und schwatzten über Krankheiten und Kochrezepte, und manchmal senkten sie die Stimmen und sprachen über Frauengeheimnisse. Die Männer erzähltenvon ihren Jagderlebnissen, zeigten einander ihre Werkzeuge, Waffen und Musikinstrumente und diskutierten die Neuigkeiten, die sie von Reisenden gehört hatten. Die Kinder freuten sich darauf, ihre Freunde aus den anderen Clanen wiederzusehen, und auf die abendlichen Gelage am Feuer, wenn Lieder gesungen und Geschichten erzählt wurden.
Oft stießen auch andere Leute hinzu, meist herumziehende
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