Kalle Blomquist
sicher habe eins der Kinder ihn genommen … Grüne Gabardinehosen seien in seinem Schrank gefunden worden? Ja, er habe nie gehört, daß es verboten sei, solche zu tragen … Und seinen Bart habe er sich abrasiert, weil er ihm langweilig geworden war. Er könnte es nicht ändern, daß am Tage davor ein armer Greis erschossen worden war.
Er hatte den Mut, so lange zu lügen, bis der Kommissar beinahe die Geduld verlor. Der große Bruder Klaus war aus hartem Holz. Ja, großer Bruder Klaus – ein eigenartiger Zufall wollte es, daß er tatsächlich Klaus mit Vornamen hieß. Eva-Lotte hatte ihn richtig getauft.
Die dramatischen Ereignisse draußen im Herrenhof hatten Störungen im Krieg der Rosen zur Folge. Wieder einmal hatte die Angst die Mütter ergriffen. Wieder einmal bekamen die Kinder strenge Anweisung, sich im Haus zu halten. Und diese selbst waren noch so angegriffen, daß sie kaum Lust zu etwas verspür-ten.
Sie saßen im Garten des Bäckermeisters, die Roten und die Weißen Rosen, und gingen noch einmal in der Erinnerung die entsetzlichen Minuten auf der Prärie durch. Und Kalle bekam wieder und wieder Lobesworte für seine Klugheit zu hören; denn das war doch wohl der Gipfel der Klugheit, sich das mit dem »natürlichen Bedürfnis« auszutüfteln! Er hatte gewußt, daß die Roten unterwegs waren, und sie auch gesehen, wie sie sich in den Büschen herumdrückten. Deshalb war er ihnen entge-gengerannt, so schnell er konnte, und hatte ihnen den kurzen, aber unmißverständlichen Befehl gegeben:
»Der Mörder ist im Herrenhof! Lauft und holt die Polizei!
Und einer von euch rennt zu seinem Auto an der Wegbiegung und schraubt alle Ventile aus den Reifen und versteckt sie.«
Während die Geduld des Kommissars nach einem weiteren Verhörtag mit dem großen Klaus erneut um einige Grade gesunken war, saß Benka friedlich zu Hause und war mit seiner Briefmarkensammlung beschäftigt. An diesem regnerischen Nachmittag konnte man sich, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, friedlichen Innenraumbeschäftigungen hingeben, und Benka gab sich seinen Briefmarken hin. Er betrachtete sie liebe-voll. Er hatte eine fast vollständige Serie schwedischer Marken und wollte gerade eine Anzahl von Neuerwerbungen einkleben, als sein Blick auf einen zerknitterten Umschlag fiel. Ach ja, das hatte er ja vor Lisanders Garten gefunden, vor einiger Zeit.
Benka hatte den Umschlag aufgehoben, weil er eine neue, soeben herausgegebene Marke, die er noch nicht hatte, darauf sah.
Nun glättete er den Umschlag zum erstenmal. Er hatte ihn vor-dem einfach so, wie er war, in den Karton gelegt, wo er seine Marken aufbewahrte.
»Fräulein Eva-Lotte Lisander« stand in Maschinenschrift auf dem Umschlag. Ja, sie hatte sehr viel Post gehabt in letzter Zeit, die Eva-Lotte. Er sah in den Umschlag hinein. Natürlich leer!
Als er die Marke noch einmal sah, freute er sich. Sie war wirklich sehr schön. Wo der Brief abgesandt war, konnte man nicht sehen. »B. P.« stand auf dem Stempel. Das bedeutete »Bahn-post«. Das Datum aber konnte man deutlich erkennen.
Und plötzlich kam ihm wie der Blitz ein Gedanke. Wenn das nun der Umschlag war, nach dem die Polizei so sehr gesucht hatte? Mal sehen … Der Tag, als die Weißen in der Laube gesessen hatten und Sixtus ihn ausgeschickt hatte, die Weißen zu reizen, – war das nicht der Tag, an dem Eva-Lotte die Schokolade bekommen hatte? Ja, klar, das war der Tag! Und an dem Tag hatte er auch den Umschlag gefunden. Was für eine Nuß er doch war, nicht schon früher den Umschlag etwas genauer anzusehen!
In zwei Minuten war er bei Sixtus, der auch zu Hause saß. Er spielte Schach mit Jonte. Und in zwei Minuten waren sie alle bei Eva-Lotte, die auch zu Hause saß. Oben auf dem Bäckereiboden mit Anders und Kalle. Sie hörten sich an, wie der Regen auf das Dach tropfte, und lasen Witzblätter. Und in zwei Minuten waren die sechs auf dem Polizeirevier. Aber es kostete die Durchnäßten beinahe eine Viertelstunde, hineinzugelangen, um Onkel Björk und dem Kriminalkommissar klarzumachen, weshalb sie gekommen waren.
Der Kommissar betrachtete den Umschlag durch die Lupe.
Der Buchstabe t war deutlich sichtbar auf der Schreibmaschine, die man zur Beschriftung benutzt hatte, fehlerhaft. Jedes t hatte eine winzige Scharte.
»Kinder sind wie Hunde«, schmunzelte der Kommissar, als die sechs gegangen waren. »Sie schnüffeln überall umher und wühlen in einer Menge Plunder rum, aber dann, hast du nicht gesehen, kommen
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