Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
Vom Netzwerk:
wirklich gefährlich, wie er auf dem Busch ritt wie die Hexe auf ihrem Be-sen. Er getraute sich nicht, in die Tiefe zu sehen. Er getraute sich nicht, zu schreien. Er getraute sich nicht, sich zu bewegen.
    Er getraute sich überhaupt nichts. Er konnte nur warten.
    Er starrte an der Mauer hoch. Wenn Kalle das Seil nicht finden würde, konnten ihm diese kleinen Mauervorsprünge auch nicht viel helfen. Er starrte auf den Busch, der sich bog und knackte.
    »Warum kommt er denn bloß nicht?« schluchzte Eva-Lotte.
    »Warum beeilt er sich denn nicht?«
    Sie hätten nur sehen sollen, wie sehr sich Kalle beeilte. Wie eine Wespe schwirrte er umher und suchte überall. Suchte, suchte, suchte … Aber es fand sich kein Seil.
    »Hilfe!« murmelte Kalle ängstlich.
    »Hilfe!« murmelte Anders mit bleichen Lippen und saß dort auf seinem Busch.
    »Ojojojoj«, murmelte Sixtus oben auf der Schutzwehr, »ojo-jojoj!«
    Aber da kam – endlich! – Kalle, und das Seil hatte er auch.
    »Eva-Lotte, du bleibst dort oben und hältst Ausschau!« kommandierte er. »Ihr anderen kommt herunter!«
    Jetzt muß alles schnell gehen. Kalle weiß, was er zu tun hat.
    Einen Stein aussuchen und an einem Ende des Seiles festbinden.
    Ihn dann über die Mauer schleudern, möglichst ohne Anders’
    Schädel zu treffen. Hoffen, bitten, wünschen, daß Anders das Seil packen kann, ehe es zu spät ist. Hände und Finger werden so fahrig, wenn es eilig ist. So entsetzlich eilig …
    Da unten klebt Anders an der Mauer und starrt mit brennenden Augen hoch. Wird die Rettung nicht endlich kommen?
    Ja, sie kommt. Da fliegt das Seil über die Mauer. Viel zu weit weg. Unerreichbar für seine sehnsüchtigen Hände.
    »Mehr nach rechts!« schreit Eva-Lotte von ihrem Aussichts-posten.

    Kalle und die anderen unten an der Mauer reißen und zerren am Strick und versuchen, ihn dichter an Anders heranzube-kommen. Es ist unmöglich. Das Seil muß sich an irgendeiner Unebenheit auf dem Mauersims verfangen haben.
    »Ich halte es nicht mehr aus«, flüsterte Eva-Lotte. »Ich halte es nicht mehr aus.«
    Sie sieht, wie die Jungen vergeblich an dem Seil zerren. Sie sieht Anders in seiner Angst – – o Anders, weißeste Weiße Rose, Edelmann unserer Weißen Rose!
    »Ich halte es keine Sekunde mehr aus!«
    Mit schnellen, leichten nackten Füßen läuft sie auf die Mauer hinaus. Mut Eva-Lotte! Nicht nach unten sehen! Nur vorwärts laufen bis zu dem Seil und sich bücken ja, ja, sich bücken, wenn die Beine auch noch so sehr zittern! Das Seil lösen, es auf Anders zuschieben, sich auf der schmalen Mauer umdrehen und zur Schutzwehr zurücklaufen.
    Das tut sie – und heult nachher los wie ein Schloßhund.
    Die Jungen haben sie mit keinem Wort gestört. Jetzt läßt Kalle das Seil sachte abwärtsgleiten. Der Stein schaukelt vor Anders. Vorsichtig, ganz, ganz vorsichtig streckt er seine Finger danach aus, und Eva-Lotte verbirgt ihr Gesicht in den Händen.
    Aber sie soll ja Ausschau halten. Sie muß sich zum Sehen zwingen. Und da – da hat Anders das Seil in den Händen.
    »Er hat es!« schreit Eva-Lotte gellend. »Er hat es!«
    Nachher stehen sie um Anders herum und haben ihn alle so gern und sind so froh, daß er gerettet ist. Er ist famos, dieser Anders! Auf jeden Fall ist es herrlich, daß er lebt!
    »Was hattest du eigentlich unten im Busch zu tun?« fragt Sixtus. »Hast du Vogeleier gesucht?«
    »Ja, ich dachte, daß du vielleicht einige Verlorene Eier zu dem Fest auf deiner Väter Burg brauchen könntest«, entgegnete Anders.
    »Und da bist du beinahe selbst ein Verlorenes Ei geworden«, sagt Kalle. Und darüber lachen sie sehr: Haha, da wäre doch Anders beinahe ein Verlorenes Ei geworden! Sixtus schlägt sich beim Lachen auf die Knie. Da fühlte er, daß seine verwundeten Kniescheiben weh tun. Außerdem friert er in seinen nassen Kleidern.
    »Kommt, Benka und Jonte, jetzt hauen wir ab!«
    »Ja«, sagt Eva-Lotte. »Jetzt muß der Chef der Roten endlich trockengelegt werden. Hoffentlich bekommt ihm das Bad, das er auf seiner Väter Burg genommen hat!«
    »Schlaft gut!« ruft Benka im Davonlaufen. »Und wenn wir wieder mal Verlorene Eier brauchen, wenden wir uns an euch.«
    Sixtus legt ein schönes Tempo vor, und seine Getreuen folgen ihm zur Burghoftür. Im Tor dreht er sich um und winkt Kalle und Anders und Eva-Lotte zu.
    »Hallo, ihr alle, ihr Würmchen der Weißen Rose«, ruft er zurück. »Morgen werden wir euch von der Erdoberfläche ver-tilgen!«
    Hier irrt der Rote Chef.

Weitere Kostenlose Bücher