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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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rächten, daß sie aus irgendeinem Loch in der Wand, natürlich dort, wo man es am wenigsten vermutete, eine Knochenhand hervorstreckten, um einen zu erwürgen?
    Noch einmal schrie Anders: »Vorwärts zu Kampf und Sieg!«
    Er wollte wohl ihren Mut beleben, aber es klang in der Stille so entsetzlich, daß Eva-Lotte ihn zitternd bat, nicht noch einmal zu rufen. »Und laßt mich nicht allein, was ihr auch tun mögt«, setzte sie hinzu, »denn ich fühle mich unter Gespenstern nun einmal nicht besonders wohl.«
    Kalle stieß sie beruhigend in den Rücken, und sie schlichen vorsichtig weiter. Nach jedem Schritt hielten sie an und horchten. Irgendwo in der Dunkelheit waren die Roten – denn es waren doch wohl hoffentlich
ihre
schleichenden Schritte, die man hörte. Ab und zu schien der Mond durch ein gewölbtes Fenster, und dann sah man alles fast so deutlich wie am Tage: die verwit-terten Wände und den ausgetretenen Boden. Wo aber das Mondlicht nicht hinkam, da waren nur beängstigende Schatten und erschreckendes Dunkel und taube Stille. Und aus dieser Stille konnte man, wenn man ganz genau hinhorchte, schwaches Geflüster auffangen, flatterndes kleines Geflüster, das einem ins Ohr floß und es mit Schrecken erfüllte.
    Eva-Lotte hatte Angst. Ihre Schritte wurden langsamer. Wer flüsterte dort? Waren es die Roten, oder war es das Echo längst gestorbener Stimmen, das jetzt noch unruhig zwischen den Schloßmauern umhergeisterte? Sie streckte die Hand aus, um sich zu vergewissern, daß sie nicht allein war. Sie mußte Kalles Windjacke mit ihren Fingerspitzen fühlen können – als einen Schutz gegen die lauernde Angst. Aber da war keine Windjacke, und da war auch kein Kalle, nur ein schwarzer Hohlraum! Eva-Lotte stieß vor Entsetzen einen schrillen Schrei aus.
    Da schoß aus einer tiefen Nische in der Wand ein Arm hervor und fing sie mit festem Griff. Eva-Lotte schrie. Sie schrie, weil sie wirklich glaubte, dies seien die letzten Minuten ihres Lebens.
    »Halt den Schnabel!« sagte Jonte. »Das hört sich ja an, als ob ein Idiot schreit.«
    »Liebster, bester alter Jonte!« Plötzlich hielt Eva-Lotte ihren Gegner für den herrlichsten aller Menschen. Innerlich wunderte sie sich verbittert, wo Anders und Kalle geblieben waren. Aber dann hörte sie, nicht allzu weit entfernt, die Stimme ihres Chefs:
    »Was schreist du nur so ’rum, Eva-Lotte? Sag uns lieber, wo das Fest hier eigentlich stattfindet.«
    Jonte war nicht besonders stark, und Eva-Lotte hatte sich mit ihren kleinen, harten Fäusten bald befreit. Sie eilte in dem langen, dunklen Gang, so schnell sie konnte, vorwärts, und Jonte blieb ihr eifrig auf den Fersen. Jetzt kam von der anderen Seite auch noch jemand, und Eva-Lotte schlug wild um sich, damit sie den Weg frei bekam. Aber dieser Gegner war stärker. Eva-Lotte spürte den Griff der Fäuste wie eine eiserne Zange um ihre Handgelenke – sicher war das Sixtus –, aber einen leichten Match wollte ihm Eva-Lotte bestimmt nicht gönnen, nein, bestimmt nicht! Sie spannte jeden Muskel ihres Körpers an und stieß zu einer Art gewaltigem Kinnhaken ihren Kopf unter das Kinn ihres Gegners.
    »Ajajajaj!« stöhnte er, der Gegner. Und es war Kalles Stimme, die stöhnte.
    »Was ist bloß los mit dir?« fragte Eva-Lotte. »Du bist so streitsüchtig.«
    »Und warum prügelst du mich?« gab Kalle zurück. »Wenn man schon kommt, um dir zu helfen?«
    Jonte grinste vor Behagen und bekam es mit der Eile, der gefährlichen Gesellschaft zu entkommen. Das war nichts für ihn: einsam mit zwei Weißen Rosen in einem dunklen Gang. Er rannte, so schnell er konnte, auf die helle Maueröffnung zu, um auf den Schloßhof zu kommen. Zum Abschied hetzte er:
    »Wunderbar! Herrlich! Schlagt euch nur richtig zusammen!
    Wir sparen dann viel Arbeit.«
    »Ihm nach!« schrie Kalle, und sie rasten dem Ausgang zu.
    Aber draußen im Schloßhof hatten sich nun die beiden Anführer getroffen und kämpften miteinander. Jeder mit seinem Holzschwert bewaffnet, fochten sie im Mondlicht gegenein-ander. Eva-Lotte und Kalle zitterten vor Spannung, als sie die schwarzen Schatten um den kreisförmigen Hof hasten sahen.
    Ja, das war in Wahrheit der Krieg der Rosen! Gerade zwischen solchen mittelalterlichen Mauern mußten sich die Käm-pen in nächtlichem Streite treffen. So war es doch gewesen, als der richtige Krieg zwischen den richtigen Roten und Weißen Rosen getobt hatte und tausend und aber tausend Seelen in den Tod gegangen waren – hinein in die Nacht

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