Kalle Blomquist
Geistesgestörten ausgeliefert. Er wußte nicht, was man mit Rasmus machte. Er wußte nicht, ob er jemals wieder hier herauskam. Und hier war es so dunkel wie in einer Grabkammer. Tausend Flüche über diesen Peters! Ein Licht hätte er ihm wohl zumindest geben können. – Wenn man diesen Strolch doch nur einmal zwischen die Finger bekommen könnte!
– Ruhig! – Was war das? Der Professor blieb steif stehen. Waren es nur seine aufgepeitschten Nerven, die ihm einen Streich spielten, oder war wirklich etwas da, was an das Fenster klopfte? Aber dieses Fenster, durch dessen Gitter er den ganzen siebenfach verdammten Tag gestarrt hatte, dieses Fenster lag doch über dem Abgrund – dort konnte doch wohl kein Mensch … Himmel, da klopfte es wieder. Es war tatsächlich jemand da!
Mit einem Gefühl, das aus wildem Hoffen und Verzweiflung gemischt war, lief er zum Fenster und öffnete es. Der Bauherr dieses Wochenendhauses mußte wohl eine Vorliebe für Gefängnisgitter gehabt haben – wie hätte er sonst dieses uner-reichbare Fenster vergittern lassen können! Aber wenn es auch vielleicht als skurriler Einfall für ein Wochenendhaus gedacht war, ein starkes Eisengitter blieb es trotzdem.
»Ist jemand dort?« flüsterte der Professor. »Wer ist da?«
»Ich bin es bloß. Kalle Blomquist.«
Das war ganz leise gesprochen, aber es ließ den Professor vor Aufregung erzittern. Seine Hände krampften sich um das Gitter.
»Kalle Blomquist? Wer – ach so, jaja, jetzt erinnere ich mich.
Gesegneter kleiner Kalle, weißt du etwas von Rasmus?«
»Er ist in einem Häuschen drüben bei Eva-Lotte. Ihm geht es ausgezeichnet.«
»Gott sei Dank!« flüsterte der Professor erleichtert. »Peters sagte, ich hätte Rasmus zum letztenmal gesehen …«
»Herr Professor, ich hole die Polizei!« sagte Kalle.
Der Professor griff sich an die Stirn: »Nein, nein, nicht die Polizei. Wenigstens jetzt noch nicht. Auf keinen Fall! Rasmus ist in größter Gefahr. Ich weiß weder ein noch aus … Ich glaube, dieser Peters meint ernsthaft, was er sagt … Hast du nicht gelesen, daß geraubte Kinder von den Kidnappern umgebracht worden sind, als die Polizei eingriff? Dieser Peters droht … Ich habe Angst um Rasmus … Nein, nein, nicht die Polizei – nicht, bevor ich Rasmus in Sicherheit habe.«
Er packte das Gitter und flüsterte schnell: »Das Schlimmste ist: Rasmus weiß, wo ich die Papiere mit den Formeln aufbewahre. Von der Erfindung, wenn du dich erinnerst. Und dieser Peters weiß das. Es wird nicht lange dauern, und er hat Rasmus gezwungen, das Versteck zu verraten.«
»Wo sind sie?« fragte Kalle. »Können Anders und ich sie nicht in Sicherheit bringen?«
»Glaubst du?« Der Professor erregte sich so sehr, daß ihm fast die Stimme fortblieb. »Großer Gott, wenn ihr das wirklich fertigbringen könntet! Ich habe sie … Meint ihr wirklich … Sie stecken hinter …«
Aber Kalle erfuhr das kostbare Geheimnis nicht. Der Professor mußte schweigen, weil hinter ihm die Tür aufging. Noch eine Sekunde, und er hätte sagen können, was er sagen wollte!
Peters aber stand bereits auf der Schwelle. Er hatte eine Petroleumlampe in der Hand. Er grüßte sehr höflich.
»Guten Abend, Herr Professor Rasmusson!« Der Professor schwieg. »Hat Ihnen der verdammte Nicke nicht einmal eine Lampe hiergelassen?« fuhr Peters fort. »Bitte sehr, ich stelle Ihnen natürlich diese hier zur Verfügung.« Freundlich lächelnd stellte er die Petroleumlampe auf den Tisch. Der Professor sagte noch immer kein Wort.
»Ich soll Sie von Rasmus grüßen«, sagte Peters, während er den Docht etwas niedriger schraubte. »Ich glaube fast, ich bin gezwungen, den Kleinen ins Ausland zu schicken.« Der Professor machte eine Bewegung, als wolle er sich auf seinen Quälgeist stürzen, aber Peters wehrte kurz mit der Hand ab.
»Nicke und Blom stehen draußen«, sagte er. »Wenn Sie schlagen wollen, schlagen wir zurück. Und – vergessen Sie nicht: Wir haben Rasmus.«
Der Professor setzte sich auf das Bett und preßte die Hände vors Gesicht. Sie hatten Rasmus! Sie hatten jeden Trumpf in der Hand! Er hatte nur Kalle Blomquist. Blomquist war seine einzige Hoffnung, und er mußte deshalb ruhig bleiben. Er mußte … Er mußte …
Peters ging durch das Zimmer. Dann stellte er sich mit dem Rücken ans Fenster.
»Gute Nacht, mein Freund«, sagte er leichthin. »Sie haben ja noch Zeit, sich die Angelegenheit zu überlegen. Allerdings nicht mehr sehr lange, fürchte
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