Kalle Blomquist
mußt jetzt schlafen«, sagte er.
»Müde bin ich nicht«, versicherte Rasmus. »Ich habe ja den ganzen Tag geschlafen.« Nicke drückte ihn wortlos in das Kissen, das auf der Bank lag. »Willst du mir, bitte, die Füße noch gut einwickeln«, bat Rasmus. »Ich finde es nämlich so unordentlich, wenn die Zehen herausgucken.«
Kichernd und mit einem recht erstaunten Ausdruck im Gesicht tat Nicke, worum er gebeten worden war. Dann stand er da und sah nachdenklich auf Rasmus hinab.
»Du bist mir schon eine nette kleine Ordnung«, sagte er. Der dunkle Kopf des Jungen ruhte auf dem Kissen. Im schwachen Schein der Taschenlampe sah er unwahrscheinlich zart und lieblich aus. Seine Augen waren blank, und sie lachten Nicke freundlich an.
»Oh, wie bist du doch nett, kleiner Nicke«, sagte er, »komm, ich will dich umfassen und drücken. Aber genau so, wie ich Vati immer drücke.« Nicke kam gar nicht dazu, sich zu wehren.
Rasmus legte einfach die Arme um seinen Hals, und dann drückte er Nicke so kräftig, wie seine kleinen fünfjährigen Ärm-chen es erlaubten.
»Tut es weh?« fragte er stolz.
Zuerst konnte Nicke gar nichts sagen. Dann schluckte er, und dann murmelte er undeutlich: »Nee, das tut nicht weh …
Das nicht …«
SIEBTES KAPITEL
Oben auf einem Felsen lag das Häuschen, wo der Ingenieur Peters seinen kostbaren Gast einquartiert hatte. Es lag dort wie ein Adlernest und war nur von einer Seite zugänglich. Die Rückwand schloß mit dem Felsen ab, der ziemlich senkrecht zum Strand abfiel.
»Wir müssen dort hinaufklettern«, sagte Kalle und zeigte mit dem fettigen Zeigefinger zu dem Fenster des Professors hinauf.
»Wenigstens einer von uns.«
Nach seinem Abenteuer in der Schloßruine war Anders nicht besonders darauf aus, an steilen Klippen herumzuklettern, wenn es auch diesmal lange nicht so beängstigend hoch war.
»Können wir nicht den richtigen Weg an der Vorderseite hochschleichen wie normale Sterbliche?« schlug er vor.
»Ja, und genau Nicke oder jemand anders in die Arme laufen.
Niemals!«
»Klettere du«, sagte Anders. »Ich bleibe hier unten und passe auf.«
Kalle bedachte sich keinen Moment. Er leckte das letzte Schinkenfett von den Fingern und begann zu klettern.
Es war inzwischen nicht mehr so dunkel. Die runde Scheibe des Mondes stieg langsam empor. Noch wußte Kalle nicht, ob er dafür dankbar sein sollte. Es war zwar leichter, im Mondschein zu klettern, aber es war auch leichter, den zu sehen, der kletterte. Vielleicht war es besser, dafür dankbar zu sein, daß der Mond schien und sich dann und wann einmal hinter einer ziehenden Wolke versteckte. Kalle atmete ruhig und kletterte. An und für sich war es bestimmt keine besonders gefährliche Berg-steigerangelegenheit, aber der Gedanke, ganz plötzlich vielleicht eine Koppel Kidnapper an den Fersen kleben zu haben, trieb ihm doch den Angstschweiß auf die Stirn.
Vorsichtig tasteten sich seine Füße und Hände vor. Langsam arbeitete er sich empor. Manchmal war es nicht leicht. Es konnte ihm schon einige schwindelnde Augenblicke lang geschehen, daß er gleichsam wie im leeren Nichts schwebte und es schwer hatte, das Feste zu fassen. Aber anscheinend besaßen seine Füße doch die instinktive Begabung, sich zwischen lockerem Gestein, Spalten und Wurzeln zurechtzufinden, und so fand sich immer wieder eine Stelle, an die er sich klammern konnte.
Nur einmal verließ der Instinkt seinen großen Zeh, und er stieß einen Stein ab, der mit großem Getöse die Steilung hinun-terrollte. Kalle war vor lauter Aufregung dicht daran, selbst hin-terherzurollen, aber eine Baumwurzel, die er noch fassen konnte, rettete ihn. Zitternd klammerte er sich an ihr fest und wagte lange Zeit nicht, sich zu rühren.
Anders hörte den Lärm, als der Stein herunterkam. Um ihn nicht auf den Schädel zu bekommen, sprang er blitzschnell zur Seite und murmelte wütend in sich hinein: »Am besten bläst er noch auf der Posaune, damit sie ja sicher hören, daß er kommt!«
Aber anscheinend hatte niemand außer Anders den Krach gehört. Und als Kalle mit klopfendem Herzen noch einige Minuten lang gewartet hatte, ohne daß etwas geschah, ließ er die rettende Wurzel los und kletterte weiter.
In seinem dunklen Zimmer lief der Professor auf und ab wie ein Tier im Käfig. Es war nicht auszuhalten, einfach nicht auszuhalten! Man wurde verrückt davon. Ganz sicher würde er verrückt werden, so verrückt, wie dieser Peters wohl schon lange war. Er war also einem
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