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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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KAPITEL
    Ein neuer Tag stieg empor, und wie immer schien die Sonne wieder über die Bösen und die Guten. Sie weckte Kalle und Anders, die friedlich auf den Tannenzweigen in ihrer Hütte schlum-merten.
    »Was wollen wir denn heute essen?« fragte Anders ironisch.
    »Frühstück: Blaubeeren«, sagte Kalle. »Mittagessen: Blaubeeren – und zum Abendbrot, na, was denkst du: Wollen wir da nicht zur Abwechslung mal ein paar Blaubeeren mehr essen?«
    »Nein, nein, für das Abendbrot muß Eva-Lotte sorgen«, sagte Anders voller Überzeugung.
    Sie erinnerten sich an gestern und seufzten sehnsuchtsvoll bei dem Gedanken an alles, was sie da gegessen hatten. Aber sie be-sannen sich auch auf die schauerlichen Erlebnisse, und es lief ihnen unangenehm den Rücken hinunter. Sie wußten, heute abend mußten sie alles noch einmal mitmachen. Es war unabän-derlich. Der Professor erwartete sie. Das konnten sie gut verstehen. Einer mußte also wieder zu seinem Fenster hochklettern, um zu hören, wo sich diese Papiere befanden. Wenn sie die Dokumente des Professors retten konnten, hatten sie eine wirklich gute Tat in ihrem Leben vollbracht.
    Kalle betastete seine zerschrammten Arme und Beine.
    »Es ist wohl besser«, sagte er, »wenn ich es mache. Blaue Flecke gehören zu blauen Flecken. Aber jetzt wäre ein kleines flottes Frühstück nicht zu verachten.«
    »Die Zubereitung des Essens liegt in meiner Hand«, sagte Anders dienstbereit. »Bleib bitte hier. Du bekommst deine Blaubeeren ans Bett.«
    Rasmus und Eva-Lotte bekamen ihr Frühstück auch ans Bett, nur war ihr Frühstück wesentlich stabiler. Nicke hatte sich anscheinend entschlossen, den vorlauten Mädchenmund auf diese Weise zu stopfen. Triumphierend hielt er der halbwachen Eva-Lotte ein Tablett unter die Nase: Schinken und Rührei, dicke süße Haferflocken mit kühler Sahne und belegte Butterbrote. Es sah aus wie ein Frühstück für ein Regiment.
    »Auf, auf, essen, Mädchen! Damit du nicht verhungerst!«
    drängte er. Eva-Lotte blinzelte mit einem Auge auf das Tablett.
    »Es macht sich«, sagte sie anerkennend. »Aber morgen könntest du getrost noch einige gebackene Waffeln dazulegen. Voraus-gesetzt, daß dich bis dahin die Polizei noch nicht geschnappt hat.«
    Rasmus setzte sich hastig auf.
    »Die Polizei darf Nicke nicht schnappen«, sagte er, und seine Stimme zitterte ein wenig. »Die dürfen doch wohl nicht nette Leute mitnehmen.«
    »Nette Leute nicht, aber Kidnapper nehmen sie«, sagte Eva-Lotte kühl und griff zu einem Wurstbrot.
    »Nee du, hör du mal«, sagte Nicke. »Jetzt langt mir das Ge-fasel vom Kidnapper aber bald.«
    »Und mir langt es bald, immer noch gekidnappt zu sein. Das gleicht sich also aus.«
    Nicke glotzte sie böse an: »Dich hat niemand gebeten herzu-kommen. Ohne dich wäre hier die schönste Sommerfrische.« Er ging zu Rasmus und setzte sich neben ihn. Rasmus reckte seine kleine warme Hand und streichelte Nickes Kinn.
    »Ich finde, Kidnapper sind nett«, stellte er fest. »Was machen wir heute, Nicke?«
    »Zuerst wollen wir einmal herrlich frühstücken«, erwiderte Nicke. »Dann werden wir weitersehen.«
    Die Auffassung, daß Nicke ein netter Kerl sei, hatte Rasmus schon seit den ersten Stunden auf der Insel.
    Von Anfang an war Rasmus der Meinung gewesen, daß diese ganze Reise ein wunderbarer Einfall seines Vaters war. Es machte Spaß, Auto zu fahren, es war schön, im Motorboot zu sitzen, und an der Anlegestelle auf dieser Insel lagen so viele Boote! Er wollte Vati auch noch bitten, daß er baden durfte. Aber dann war dieser dumme Onkel gekommen und hatte alles in Unordnung gebracht.
    Er hatte so seltsam mit Vati gesprochen, und Vati war böse geworden und hatte seinen Rasmus angeschrien, und dann war Vati verschwunden und hatte sich nicht mehr bei Rasmus sehen lassen.
    Und langsam waren ihm Zweifel gekommen, ob alles wirklich so wunderbar war. Er hatte versucht, gegen seine Tränen, die hervor wollten, anzukämpfen, aber schnell waren die ersten unterdrückten Schluchzer in einen Sturzbach von Tränen über-gegangen. Peters hatte ihn unsanft zu Nicke geschoben und gesagt: »Übernimm du den Jungen.«
    Das war ein schwerer Auftrag für Nicke gewesen. Er hatte sich kummervoll den Kopf gekratzt. Wußte er, wie man mit weinenden Kindern umzugehen hatte? Aber er war bereit gewesen, alles zu tun, um die Heulerei zu beenden.
    »Soll ich dir einen Flitzbogen machen?« hatte er in seiner Not vorgeschlagen. Das hatte wie eine Zauberformel

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