Kalle Blomquist
entlang dem Hauptquartier der Roten Rose entgegentrabten, fragten auch nicht viel danach, ob ihre Stadt schön war oder nicht.
Sie wußten nur, daß sie einen ausgezeichneten Kriegsschauplatz im Krieg der Rosen abgab. Da konnte man in schmalen, winkligen Gassen die Verfolger abschütteln, Zäune gab es zum Übersprin-gen und Dächer, auf die zu klettern sich lohnte, Holzschuppen, in denen man sich verbarrikadieren konnte, und außerdem noch tau-sendundeine Gelegenheit, sich zu verstecken. Solange eine Stadt diese außerordentlichen Vorzüge besaß, brauchte sie nicht schön zu sein. Es war vollauf genug, daß die Sonne schien und die Pfla-stersteine sich unter den nackten Füßen so warm und behaglich anfühlten. Das war wie Sommer im ganzen Körper. Der leicht muffige Geruch vom Fluß, der sich ab und zu mit verirrtem Ro-senduft aus irgendeinem Garten mischte, war auch sommerlich und angenehm. Und die Eisbude hinten an der Straßenecke verschönerte das Stadtbild gerade genug, fanden Kalle und Anders und Eva-Lotte. Mehr Schönheit war hier gar nicht nötig.
Sie kauften sich jeder eine Fünfundzwanzig-Öre-Portion und liefen weiter die Straße entlang.
Hinten von der Flußbrücke her kam ihnen Schutzmann Björk langsam patrouillierend entgegen. Seine Uniformknöpfe blitz-ten im Sonnenschein.
»Hallo, Onkel Björk«, rief Eva-Lotte.
»Hallo«, erwiderte der Schutzmann. »Hallo, Meisterdetektiv«, setzte er noch hinzu und legte Kalle freundlich den Arm um den Nacken. »Keine neuen Fälle für heute?«
Kalle sah ärgerlich aus. Onkel Björk war doch wohl damals dabeigewesen und hatte die Früchte von Kalles Verbrecherjagd im vorigen Sommer geerntet. Er brauchte doch nun gewiß nicht faule Witze zu machen.
»Nein, keine neuen Fälle für heute«, antwortete Anders für Kalle. »Alle Diebe und Mörder haben den Befehl bekommen, ihre Arbeit bis morgen aufzuschieben. Kalle hat nämlich heute keine Zeit für sie.«
»Nein, heute wollen wir den Roten Rosen die Ohren ab-schneiden«, sagte Eva-Lotte und lächelte Schutzmann Björk freundlich an. Sie konnte ihn gut leiden.
»Eva-Lotte, manchmal habe ich so das Gefühl, als müßtest du etwas mädchenhafter sein«, sagte Schutzmann Björk und sah bekümmert auf die schlanke, sonnenverbrannte Amazone, die da an der Bordkante stand und spielerisch mit dem gekrümmten großen Zeh einen Zigarettenstummel aufzuheben versuchte. Es glückte, und mit kräftigem Schwung schleuderte sie den Stummel in den Fluß.
»Mädchenhafter? Ja, an den Montagen«, versicherte Eva-Lotte, und ein helles, strahlendes Lachen lag auf ihrem Gesicht.
»Hej, Onkel Björk, nun müssen wir aber flitzen!«
Schutzmann Björk schüttelte den Kopf und wanderte weiter.
Wenn man über die Brücke ging, wurde man einer schweren Versuchung ausgesetzt. Natürlich konnte man auf die allgemein übliche Weise hinübergehen. Aber da gab es Geländer, recht schmale Geländer. Und wenn man über die Brücke ging, indem man über diese Geländer balancierte, hatte man ein Weilchen einen angenehmen Kitzel in der Magengrube. Es
konnte
ja passieren, daß man runterfiel. Gewiß, es war trotz ausführlicher Versuche auf diesen Geländern noch nie geschehen, aber ganz sicher war man ja nicht. Und wenn auch das Ab-schneiden der Ohren der Roten Rosen eine recht eilige Angelegenheit war, fanden sowohl Kalle als Anders und Eva-Lotte doch, daß immer noch etwas Zeit für einen kleinen Balanceakt übrig sein mußte. Es war natürlich verboten; aber Schutzmann Björk war schon verschwunden, und auch sonst war kein Mensch zu sehen.
Doch, einer war zu sehen. Gerade als sie, nach allen Seiten sichernd, auf die Geländer geklettert waren und das angenehm kitzelnde Gefühl im Magen sich wieder einzustellen begann, kam auf der anderen Seite der Brücke Gren, der Alte, angetrottet.
Aber um ihn kümmerte man sich nicht. Gren, der Alte, blieb vor den Kindern stehen, seufzte wie gewöhnlich und sagte in seiner üblichen abwesenden Art: »Ja, ja, der Kindheit glückliche Spiele.
Der Kindheit glückliche, unschuldige Spiele. Ja, ja!«
So sagte Gren, der Alte, immer. Die Kinder pflegten ihn nachzuahmen. Selbstverständlich nie so, daß er es hören konnte.
Aber wenn Kalle aus Versehen den Fußball genau in Vater Blomquists Schaufensterscheibe setzte oder Anders vom Fahrrad fiel und dabei haargenau mit dem Gesicht in einem Bren-nesselgestrüpp landete, konnte es sein, daß Eva-Lotte seufzte und sagte: »Ja, ja, der Kindheit glückliche
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