Kalle Blomquist
verschwunden waren. Er benutzte die kurze Atem-pause, bevor der Krieg der Rosen ausbrach, zu einem wichtigen Gespräch. Ja, er hatte ein Gespräch, obwohl kein lebendes Wesen in der Nähe zu sehen war. Meisterdetektiv Blomquist sprach mit seinem erdachten Zuhörer. Seit Jahren schon hatte er diesen lieben Begleiter. Oh, das war ein wunderbarer Mensch, dieser Zuhörer! Er behandelte den berühmten Detektiv mit der hohen Achtung, die er so oft verdiente und so selten bekam, am wenigsten von Anders und Eva-Lotte. Gerade jetzt saß er, andächtig auf jedes Wort lauschend, zu des Meisters Füßen.
»Herr Bengtsson und Fräulein Lisander sind von wahrhaft beklagenswerter Interessenlosigkeit gegenüber den Verbrechen in unserer Gemeinde«, versicherte Herr Blomquist und sah seinem erdachten Zuhörer ernst in die Augen. »Eine kleine Ruhe-pause nur – und sie verlieren alle Wachsamkeit. Sie verstehen nicht, daß gerade die Ruhe gefährlich ist.«
»Tatsächlich?« sagte der erdachte Zuhörer und sah ganz ver-dattert aus.
»Die Ruhe ist trügerisch«, fuhr der Meisterdetektiv mit Nachdruck fort. »Diese kleine friedliche Stadt, diese strahlende Sommersonne, diese idyllische Ruhe – bah! In einer Minute kann das alles verändert sein. Ganz plötzlich kann das Verbrechen seinen düsteren Schatten über uns werfen!«
Der erdachte Zuhörer keuchte. »Herr Blomquist, Sie erschrecken mich«, flüsterte er und warf scheue Blicke um sich, als wollte er sehen, ob das Verbrechen nicht schon hinter einer Ecke stand und lauerte.
»Überlassen Sie das alles nur mir«, sagte der Meisterdetektiv.
»Beunruhigen Sie sich nicht. Ich wache.«
Jetzt konnte der erdachte Zuhörer kaum noch sprechen, so gerührt und dankbar war er. Seine gestammelten Dankesworte wurden außerdem durch Anders’ Kriegsruf vom Zaun her unterbrochen: »Vorwärts zu Kampf und Sieg!«
Als hätte ihn eine Biene gestochen, fuhr Meisterdetektiv Blomquist in die Höhe. Man durfte ihn nicht noch einmal unter dem Birnbaum finden.
»Leben Sie wohl!« rief er dem erdachten Zuhörer zu und hatte dabei selbst das Gefühl, als wäre es ein Abschied für ziemlich lange. Der Krieg der Rosen würde ihm wohl kaum Zeit lassen, im Gras zu liegen und über Kriminalistik zu diskutieren.
Und das war eigentlich gut. Ehrlich gesagt: Es war schon ein Kreuz, in dieser Stadt Verbrecher fangen zu müssen. Ein ganzes Jahr seit dem letzten Mal – kann man sich das überhaupt vorstellen? Nein, der Krieg der Rosen war sicherlich herzlich willkommen.
Sein erdachter Zuhörer sah ihm lange und ängstlich nach.
»Leben Sie wohl!« rief der Meisterdetektiv noch einmal.
»Ich bin nun eine Weile zum Militärdienst einberufen. Aber seien Sie nicht beunruhigt. Ich denke nicht, daß gerade jetzt irgend etwas Besonderes passieren wird.«
Ich denke nicht … Ich denke nicht …! Da läuft der Meisterdetektiv, der eigentlich über die Sicherheit der Stadt wachen sollte! Da läuft er nun, fröhlich pfeifend, und seine nackten braunen Füße trommeln auf den Gartenweg, wie er Anders und Eva-Lotte entgegensaust. Ich denke nicht … Diesmal dachten Sie falsch, Herr Meisterdetektiv!
ZWEITES KAPITEL
»In dieser Stadt gibt es nur eine Straße und eine Querstraße«, pflegte Bäckermeister Lisander zu den Leuten zu sagen, die aus einer anderen Gegend zu Besuch hierherkamen. Und der Bäk-kermeister hatte recht. Hauptstraße und Kleine Straße, das war alles, was es gab – und den Großen Markt natürlich. Der Rest waren winzige kopfsteingepflasterte, bucklige Gassen und Stra-
ßenstummel, die zum Fluß hinunterführten oder auch ganz plötzlich vor einem baufälligen alten Haus aufhörten, das mit dem Recht des Alters dort stand und den Weg versperrte und sich eigensinnig jeder modernen Stadtplanung widersetzte. Gewiß fand sich am Rande der Stadt die eine oder andere moderne Villa in einem schön gepflegten Garten; aber das waren Aus-nahmen. Die meisten Gärten waren wie der des Bäckermeisters: wild gewachsen mit alten knotigen Apfel- und Birnbäumen und verwilderten Grasmatten, die nie geschnitten wurden. Auch die Häuser ähnelten meist dem des Bäckermeisters: große Holzkä-sten, die ein Baumeister längst vergangener Zeit in wildem Schönheitssinn mit ganz unerwarteten Vorsprüngen, Türmchen und Zinnen geschmückt hatte.
Eine schöne Stadt war es also, strenggenommen, nicht, aber sie hatte die altväterliche gemütliche Ruhe.
Kalle und Anders und Eva-Lotte, die gerade am Ufer des Flusses
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