Kalle Blomquist
wir versuchen müssen, hier herauszukommen?«
»Du hast ja recht«, sagte Kalle. »Wir müssen hier heraus.
Deshalb möchte ich ja auch eine Zeitung haben.«
»Glaubst du, da steht etwas drin über die beste Art, an Hauswänden hinunterzuklettern?« Eva-Lotte beugte sich aus dem Fenster, um den Abstand vom Boden zu schätzen. »Wir brechen uns natürlich den Hals«, fuhr sie fort. »Aber es hilft ja nichts.«
Kalle stieß einen zufriedenen Pfiff aus. »Die Tapete! Daran hatte ich nicht gedacht. Die wird genügen.«
Rasch riß er einen Fetzen von der herabhängenden Tapete ab.
Eva-Lotte sah ihm verwundert zu. Kalle bückte sich und schob das große Papierstück durch die fingerbreite Ritze unter der Tür.
»Reine Routinearbeit«, murmelte er und holte sein Taschenmesser heraus. Das kleinste und dünnste Messer klappte er hoch und stocherte vorsichtig damit im Schlüsselloch herum. Man hörte ein Klirren auf der Außenseite der Tür. Es war der Schlüssel, der dort zu Boden fiel. Kalle zog die Tapete wieder herein, und richtig, darauf lag der Schlüssel. »Wie gesagt, reine Routinearbeit«, sagte der Meisterdetektiv, damit andeutend, daß seine Tätigkeit als Detektiv es eben mit sich brachte, jeden Tag verschlossene Türen auf die eine oder andere knifflige Art zu öffnen.
»O Kalle, du bist unschlagbar!« stellte Eva-Lotte bewundernd fest.
Kalle schloß auf. Sie waren frei. »Aber wir wollen nicht gehen, ohne die Rötlichen um Verzeihung zu bitten«, sagte Kalle.
Er fischte einen Bleistiftstummel aus seiner inhaltsreichen Hosentasche und reichte ihn Eva-Lotte. Und sie schrieb auf die Rückseite der Tapete:
»An die Hohlschädel der Roten Rose!
Eure Moosanpflanzungsversuche sind kläglich gescheitert.
Genau fünf Minuten und dreiunddreißig Sekunden haben wir gewartet, daß etwas hervorsprießen sollte. Jetzt warten wir nicht länger. Kleine Rotzbengelchen, wußtet ihr noch nicht, daß Weiße Rosen durch Wände gehen können?«
Sie schlossen das Fenster sorgfältig und legten den Fensterha-ken um. Dann schlossen sie die Tür von außen ab und ließen den Schlüssel im Schloß stecken. Den Abschiedsbrief hängten sie an den Türgriff.
»Das wird ihnen etwas zu denken geben: das Fenster von innen und die Tür von außen verschlossen! Die werden sich wundern, wie wir herausgekommen sind«, sagte Eva-Lotte und lief rot an vor Begeisterung.
»Ein Punkt für die Weiße Rose«, sagte Kalle und lachte.
Anders war in Sixtus’ Garage nicht zu finden. Die Garage lag still und leer da wie vorher. Sixtus’ Mutter war dabei, im Garten Wäsche aufzuhängen.
»Wissen Sie wohl, wo Sixtus ist?« fragte Eva-Lotte.
»Hm, vor einer halben Stunde war er noch hier«, sagte die Frau Postdirektor, »mit Benka und Anders und Jonte.«
Es war klar, die Roten hatten ihren Gefangenen an einen Platz gebracht, der sicherer war. Aber wohin? Die Antwort befand sich dicht bei ihnen. Kalle sah sie zuerst. In das Gras ge-bohrt stand da ein Finnenmesser, die scharfe Spitze durch einen kleinen Zettel getrieben. Es war Anders’ Messer. Kalle und Eva-Lotte erkannten es sofort. Und auf dem Zettel stand ein einziges Wort: »Jonte«.
Es war dem Weißen Chef offenbar gelungen, in einem unbewachten Augenblick diese lakonische Mitteilung für seine Waffenbrüder zu hinterlassen.
Kalle legte die Stirn in tiefsinnige Falten. »Jonte«, sagte er, »das kann nur eins bedeuten: Anders sitzt zu Haus bei Jonte gefangen.«
»Ja, was dachtest du denn sonst, was es bedeuten könnte?« höhnte Eva-Lotte. »Wenn er wirklich bei Jonte ist, so ist es natürlich schlauer, auch ›Jonte‹ zu schreiben und nicht etwa zum Beispiel ›China‹.« Darauf sagte Kalle kein Wort.
Jonte wohnte in dem Teil der Stadt, der Rackerberg genannt wurde. Es waren nicht gerade die Vornehmsten, die dort in den kleinen Hütten wohnten. Jonte erhob aber gar nicht den An-spruch, zu den Vornehmen der Stadt zu gehören. Er war vollauf zufrieden mit der baufälligen Wohnung seiner Familie, die aus Stube und Küche im Erdgeschoß und einer kleinen Kammer unter dem Dach bestand. Letztere war nur im Sommer be-wohnbar. Im Winter war es dort zu kalt. Aber im Juli herrschte in der Bodenkammer eine Hitze wie unter den Bleidächern von Venedig, weshalb dort der beste Platz für ein Verhör war. Jonte hatte das alleinige Verfügungsrecht über die Bodenkammer.
Hier schlief er auf einem einfachen Zeltbett, hier hatte er ein selbstgebautes Regal aus Kistenbrettern, wo er seine
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