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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Mosaik unter meinen Füßen eingelassen war. An den runden Wänden und unter der gewölbten Decke tanzten in den Schatten Bilder von ausgelassen feiernden Göttern.
    Als alle Kerzen brannten, stellte ich den Kandelaber ab und schloss die Augen, diesmal nicht vor Schmerz, sondern voller Hingabe an die Göttin, denn ich brauchte an diesem Ort des Bösen dringend ihren Schutz und ihre Hilfe. Hilf mir, betete ich im Stillen. Hilf mir, zu finden, was hier versteckt ist...
    Und dann sah ich mit den Augen der Göttin ein Stück Silber, unter den Überresten der armen Taube verborgen, auf das ein Siegel eingraviert war, eingeschlagen in schwarze Seide und mit einer Kordel umwunden.
    Es war der Talisman, mit dem der Feind das Herz und den Verstand des Papstes beherrschte. Ganz ruhig trat ich an den Altar und schob, so gleichmütig wie nur möglich, den toten Vogel beiseite. Ich wickelte das Siegel aus, kehrte mit der Magie der Göttin den Befehl um und erlöste den Papst aus dem Griff des Feindes.
    Den Seelen der Verstorbenen, die dort gefangen waren, versprach ich flüsternd: Eines Tages komme ich wieder und erlöse auch euch.
    Dann hielt ich inne und konzentrierte mich auf die Göttin, öffnete mich ihr, um die Frage zu stellen: Wo werde ich Lucs Talisman finden?
    Die Antwort kam schnell: Der Talisman ist nicht hier.
    Furcht drohte mich zu überwältigen, doch ich fasste mich und betete noch einmal: Was muss ich hier tun, damit mein Geliebter gerettet werden kann?
    Keine Antwort.
    Noch einmal: Was muss ich hier tun, damit mein Geliebter gerettet werden kann?
    Nichts.
    Nichts gab es, was ich tun konnte, um meinen Geliebten zu retten. Nichts. Als ich bei diesem Gedanken aufstöhnte, ließ meine Einheit mit der Göttin nach, und ich erkannte voller Schrecken, dass der Feind mich in diesem Moment gespürt hatte, dass er wusste, wo ich war, und dass er mich verfolgte.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen.
    Ich lief, noch immer vor den Augen meiner Mitmenschen verborgen, durch den großen Palast. Meine Seele stand in Flammen. Vor meinem geistigen Auge war ich die Taube und schlug mit den Flügeln gegen den prächtigen, vergoldeten Käfig, in dem ich saß, bis sie bluteten. Es war, als starrten die Bilder der Heiligen durch eine Wand aus Feuer auf mich herab. Wie viele von ihnen, fragte ich mich, waren auf diese Weise zu Tode gemartert worden?
    Heilige und Opfer, Tod und Verbrennen. Der Rauch der vielen Feuer erstickte mich fast, doch ich rief im Stillen meine Templer, meine Ritter, die mir in diese heilige, himmlische, geschändete und höllische Stadt gefolgt waren.
    Kommt! Kommt! Zum Richtplatz! Der Feind folgt mir, und ich weiß nicht, was aus unserem Herrn geworden ist...
    Draußen hatte sich der Himmel geöffnet. Es war spät am Nachmittag, aber finster wie in der Nacht. Der Regen fiel nicht in Tropfen, sondern wie eine einzige große Wand, und der Wind trieb ihn vor sich her, sodass er mir wie der Biss einer Natter ins Gesicht stach.
    Ich vergeudete meine Kraft nicht damit, mich vor dem Regen zu schützen. Keinen Gedanken verschwendete ich daran, denn das Podium des Inquisitors war leer, die Stühle entfernt. Nur der gestreifte Baldachin war nicht rechtzeitig eingerollt und zurückgebunden worden, sodass ihn der heftige Wind bereits zerrissen hatte und die Fetzen gegen die Mauern des Papstpalasts klatschten.
    Der Platz selbst war leer.
    Und der Pfahl auf dem Scheiterhaufen, an dem man den Gefangenen festgebunden hatte, war verkohlt und umgekippt. Die Holzscheite darunter waren verbrannt. Knochen und andere Überreste der Leiche waren entfernt worden. Ich kniete dort nieder und weinte, eine Hand auf den letzten Resten der Asche, die Wind und Regen fortspülten. Mein Geliebter war fort. Verzweifelt fragte ich die Göttin: Warum? Warum hast Du mich hierher
    geführt? Nur um mir die Niederlage zu zeigen? Er gehört jetzt dem Feind mehr denn je zuvor ...
    Gedämpftes Hufgetrappel dröhnte auf schlammigem Grund. Meine Ritter eilten herbei, führten mein Pferd mit sich. Mit schmutzigen Händen wischte ich mir über die Wangen, beschmierte mein Gesicht mit Tränen, Tod und Asche, bevor der Regen alles fortspülte. Doch noch brachte ich es nicht übers Herz, den Ort zu verlassen, an dem ich meinen Geliebten zuletzt gesehen hatte. Ich sehnte mich danach, den Inquisitoren zu folgen, herauszufinden, was von ihm geblieben war.
    Ach, wäre ich doch kein Mensch und hätte kein Herz!
    Lucs Onkel Edouard stieg ab, half mir auf

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