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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon
Autoren: Unbekannter Autor
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die Füße und führte mich zu meinem Pferd.
    Wir ritten nach Hause, nach Carcassonne. Eine gewaltige Dummheit, wie ich wusste, denn dort würde mich der Feind zuerst suchen. Doch dies war der Pfad, den mir die Göttin gezeigt hatte, er brannte in mir wie eine Laterne. Und nur so weit konnte ich in die Zukunft schauen, nicht weiter.
    Ich spuckte aus, um diesen Geschmack meiner Bestimmung, bitter im Mund und metallisch wie Blut, loszuwerden.
    Stundenlang ritten wir, durch Nacht und Regen, der nicht aufhören wollte, über rutschige Steine, über Berge, durch Täler und über Weiden, bis der Duft von zertretenem Lavendel und Rosmarin unter den Hufen meines Pferdes aufstieg. Wir waren fast zu Hause.
    Schließlich wurde ich vor Erschöpfung und vom unablässigen Beten so ruhig, dass ich mit Hilfe meines Zweiten Gesichts etwas weiter voraussehen konnte. In der Flucht konnte kein Sieg liegen, denn die Zukunft hielt noch mehr Begegnungen zwischen mir und meinem Feind bereit, von denen keine meinen Geliebten aus seinem grauenhaften Gefängnis befreien würde.
    Ergib dich, flüsterte mir die Göttin zu. Es ist die einzige Chance für dein Geschlecht.
    Ergib dich.
    Mir blieb nur noch geringe Hoffnung, ein dünner Faden, der beim kleinsten Ruck zerreißen würde. Aber weil es die einzige Hoffnung war, gab ich nach und schickte meine Ritter gegen ihren Protest fort.
    Dann ergab ich mich der Göttin.
    Ich ergab mich meinem Feind.
    Ich ergebe mich.
    Das ist meine Geschichte. Mehr habe ich nicht zu sagen.
T eil VII - Luc

XIX
    »Wenn Eure Geschichte wahr ist, dann bin ich der zukünftige Feind«, sagte Michel mit stillem Gram, »und bin für Lucs Leid und seinen Tod verantwortlich.« Denn er war an jenem Tag in Avignon auf dem Podium des Inquisitors gewesen und hatte zwischen Kardinal Chretien und Vater Charles gesessen. Er war derjenige, den Sybille »die jüngere Krähe« genannt hatte, den zukünftigen Feind. Er war es gewesen, der jener Wache zornig zugerufen hatte, er solle die ketzerische Rede des Gefangenen bestrafen, und war dann aber zutiefst erschrocken, als er sah, was das zur Folge hatte. Es war seine erste Verbrennung gewesen, und am Ende war er in seine Zelle zurückgetaumelt, um sich zu übergeben, und Chretien hatte ihm den Kopf gehalten und ihn getröstet.
    Er hatte Sybille gesehen - das heißt, Mutter Marie Francoise - und nicht gewusst, wer sie war. Er war genauso erstaunt gewesen wie die anderen in der Menschenmenge, als sie plötzlich neben dem Gefangenen auftauchte, und noch erstaunter, als sie das Auge des geschlagenen Mannes durch Handauflegen geheilt hatte.
    Im Grunde seines Herzens hatte er sogleich gewusst, dass er Zeuge eines wahren göttlichen Wunders geworden war und dass sie eine Heilige war, denn er war erfüllt gewesen von dem, was sie >die Nähe der Göttin< nannte: die wunderschöne, freie, unleugbare Anwesenheit des Göttlichen. Als er schließlich erfuhr, dass sie die Äbtissin aus Carcassonne war, die durch die Heilung des Leprakranken Berühmtheit erlangt hatte, war er doppelt überzeugt, dass sie ihm eine wahre mystische Erfahrung hatte zuteil werden lassen und dass Kardinal Chretien und Vater Charles sich irrten, wenn sie die Handlung als Hexerei bezeichneten.
    Daher hatte es ihn zutiefst verstört, als Chretien sie verhaften und sofort abführen ließ. Es schien Michel ungeheuerlich, dass er mit ansehen musste, wie der Mann, den die Äbtissin gerade geheilt hatte, verbrannt wurde. Gott hatte gesprochen, Gott hatte ihn verschonen wollen, doch die beiden Männer, die Michel am meisten liebte, ordneten an, dass der Mann unter größten Todesqualen sterben und seine Heilung vergeblich sein sollte.
    Und jetzt zu erkennen, dass der Gefangene Luc gewesen war ...
    Michel senkte den Kopf, legte die Fingerspitzen an Stirn und Schläfen und schluchzte auf.
    »Ihr seid der zukünftige Feind«, bestätigte Sybille leise, beinahe freundlich. »Aber Ihr habt Luc de la Rose nicht umgebracht.«
    Er schaute zwischen seinen Fingern hindurch auf. »Vielleicht nicht direkt, diese Ehre gebührt Chretien und Charles. Doch ich war ihr Komplize. Eigentlich hätte ich mich öffentlich gegen ihre Missetaten aussprechen sollen, und doch habe ich ihnen nicht Einhalt geboten ...«
    »Vater Charles ist nur ein irregeleiteter Unschuldiger. Chretien hat den Mantel des Feindes übergezogen. Aber Ihr begreift noch immer nicht«, unterbrach Sybille. Ihr Mund öffnete sich, als sie ihn mit einem Blick voller Trauer, Mitleid,
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