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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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antwortete Paul, als sich die beiden mit inniger Zuneigung umarmten. Dann lehnte Edouard sich einen Moment lang zurück und suchte in den Augen seines Schwagers nach einer Antwort, die offenbar ungut ausgefallen wäre, denn Pauls Blick wich ihm abwehrend aus. Ein dunkler Schatten der Enttäuschung huschte über Edouards Gesicht. Er setzte sich und begann: »Verzeiht, Euer Heiligkeit. Bitte, fahrt fort ...«
    Das ließ sich der Erzbischof nicht zweimal sagen. »Es waren die Templer, müsst Ihr wissen, welche des Teufels Magie aus Arabien mitbrachten, als sie vorgaben, Pilger zu beschützen und die Sarazenen im Heiligen Land zu bekämpfen. Einige von ihnen waren zu Anfang durchaus edel und opferten ihr Leben, um den Tempel in Jerusalem für die Christenheit zurückzuerobern. Doch die Wahrheit ist ...« An dieser Stelle beugte sich der alte Mann vor und senkte die Stimme, sodass er beinahe flüsterte. »Einige von ihnen entdeckten unter dem Tempel Dokumente über Magie, eigenhändig von Salomo geschrieben, und damit eine Quelle unschätzbarer Macht. Was sie daraus lernten, teilten sie den Juden und den Hexen mit. Es ist Teil der weltweiten Verschwörung des Bösen.«
    »Aber die Hexen ...«, widersprach Nana höflich. »Ich wusste nicht, dass sie die Magie von den Templern gelernt haben. Ich dachte immer, ihre Magie stamme von den heidnischen Bräuchen vor der Römerzeit.«
    »Einiges, ja«, gab der Erzbischof gnädig zu. »Allerdings sind Frauen - und die meisten Hexen sind bekanntlich Frauen - wankelmütig und so, wie sie von einem heidnischen Gott zum nächsten schwenken, von Zauber zu Zauber, schrecken sie auch nicht davor zurück, Magie aus allen möglichen Quellen zu stehlen. Und dennoch stammt all dies von einem, von Luzifer, daher ist er ihr Gott, ungeachtet des Namens, mit dem sie ihn anrufen. Und obwohl die Templer ihre satanischen Orgien bevorzugt mit Männern abhielten, hatten sie ebenso wie die Hexen - und haben noch - die Gelegenheit zu ... wie soll ich es taktvoll ausdrücken? Schändlichen Handlungen.«
    Lucs Vater schaute unverwandt auf seinen Teller und aß während der gesamten Erklärung des Erzbischofs unverdrossen weiter. Als der geistliche Würdenträger geendet hatte, schaute Paul de la Rose ihm direkt ins Gesicht und bemerkte zuvorkommend, doch ohne jegliche Überzeugung oder Missbilligung: »In der Tat.«
    Nana lächelte den Erzbischof an und sagte nichts, doch Luc spürte, wie angespannt sie neben ihm saß, und erkannte, dass sie und sein Vater den Mann verabscheuten. Warum taten sie alle so, als stimmten sie mit diesem Menschen überein, wenn sie doch anderer Meinung waren?, fragte sich der Junge.
    Abrupt erhob sich der Erzbischof und schritt durch die große Halle, vorbei an knicksenden Gästen, Paul de la Rose an seiner Seite. Nana und Edouard folgten in respektvollem Abstand. Zwischen ihnen ging Luc, die Rechte in der Hand der Großmutter, die Linke in die des Onkels geschoben.
    Edouards Hand vermittelte Luc Wärme, Kraft und einen Anflug von Sorge, ein Zeichen dafür, dass er Beatrice vor dem Essen besucht hatte. Edouard liebte seine Zwillingsschwester über alles, genau wie ihr einziges Kind. Luc wusste das und erwiderte diese Liebe ebenso innig. Auch wenn Edouard gelegentlich betrübt wirkte, zeugten seine Berührungen stets von innerem Glück und Freude. Nicht von einer wilden, schwankenden Euphorie, sondern von entschlossener, fester Freude, selbst im Angesicht einer Tragödie. Er wirkte wie ein Mann mit gesundem Gottvertrauen, der an etwas Wunderbares und Schönes glaubte. Diesmal war die stete Freude jedoch von einem unausgesprochenen Entsetzen gedämpft, demselben unausgesprochenen Grauen, das von Nanas weicher Hand ausging. Sie boten dem Erzbischof und den versammelten Gästen - den Erwachsenen - eine tadellose Vorstellung, doch ein Kind vermochten sie nicht zu täuschen.
    Plötzlich stand die Gruppe im Freien. Ehe er sich's versah, saß Luc rittlings auf einem goldenen Sattel vor seinem Vater auf dessen schönem schwarzen Hengst.
    Wenige Meter vor ihnen halfen Diener dem Erzbischof in eine herrliche, vierspännige Kutsche, deren Holz mit weißem und goldenem Leder überzogen war, in das Symbole des Christentums und das Familienwappen des Geistlichen kunstvoll eingearbeitet waren. Ein dazu passender Gobelin aus weißem Brokat, bestickt mit Goldfäden, diente als Dach, unter dem der alte Mann seine zerbrechlichen Knochen in scharlachrote Samtpolster sinken ließ. Plötzlich fand

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