Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis
sollte Sixtus Lorenzos Großzügigkeit einfach nur schamlos ausnutzen. Das wäre eine weitere Kränkung.
Sollte dies nicht der Fall sein, würde Lorenzo nach der Messe ein prächtiges Festmahl zu Ehren des Kardinals geben. Sollte der junge Raffaele nur gekommen sein, weil er sich an der Kunst der Medici ergötzen wollte, konnte er seinem Onkel wenigstens berichten, dass Lorenzo ihn üppig und gut bewirtet hatte. Das könnte als diplomatisches Angebot dienen, das Lorenzo zu seinem Vorteil nutzen würde, denn er war entschlossen, die päpstlichen Schätze wieder den Klauen der Pazzi-Bank zu entreißen.
Deshalb legte Lorenzo sein freundlichstes Verhalten an den Tag, obwohl Francesco Salviati, der Erzbischof von Pisa, hinterlistig lächelnd auf der anderen Seite von Riario stand. Lorenzo hatte keinen persönlichen Streit mit Salvia-ti, auch wenn er lange und erbittert gegen dessen Ernennung zum Erzbischof gekämpft hatte. Da Pisa von Florenz beherrscht wurde, verdiente diese Stadt einen Erzbischof aus den Reihen der Medici - und Salviati war mit den Pazzi verwandt, die ohnehin schon zu hoch in der Gunst des Papstes standen. Während die Medici und die Pazzi sich für die Öffentlichkeit als Freunde gerierten, gab es in der Politik und im Geschäftsleben keine erbitterteren Gegner. Lorenzo hatte einen leidenschaftlichen Brief an Sixtus geschrieben, in dem er darlegte, warum die Ernennung eines Verwandten der Pazzi zum Erzbischof sowohl für die päpstlichen Interessen als auch für die der Medici eine Katastrophe wäre.
Sixtus blieb nicht nur eine Antwort schuldig, sondern entließ die Medici ein für alle Mal als Depositare des Papstes.
Die meisten hätten das päpstliche Ansinnen, Riario und Salviati seien als Ehrengäste zu behandeln, als Seitenhieb auf die Würde der Medici betrachtet. Doch Lorenzo, stets Diplomat, hieß sie willkommen. Zudem bestand er darauf, dass sein guter Freund und Leiter der Medici-Bank, Francesco Nori, nicht das geringste Anzeichen einer Kränkung zeigte. Nori, jetzt als schweigender Beistand neben ihm, wollte Lorenzo um jeden Preis beschützen. Als die Nachricht aus Rom eintraf, die Pazzi seien zu päpstlichen Bankiers ernannt worden und die Medici somit aus dem Geschäft, hatte Nori unablässig getobt. Lorenzo sah sich daraufhin genötigt, seinen Untergebenen zu besänftigen, obwohl er seine eigene Wut nur mit Mühe zügeln konnte. Er hatte die Angelegenheit nur selten zur Sprache gebracht, ihm fehlte schlicht die Energie dazu; er war nämlich bereits zu sehr mit einem Plan beschäftigt, wie er Sixtus wieder zurückgewinnen könnte.
So hatte er während des gesamten Gottesdienstes Artigkeiten mit dem Kardinal ausgetauscht und aus der Entfernung den Pazzi freundlich zugelächelt, die vollzählig erschienen waren. Die meisten hatten sich auf der anderen Seite der Kathedrale versammelt, bis auf Guglielmo de' Pazzi, der wie ein Schatten am Erzbischof klebte. Lorenzo mochte Guglielmo wirklich gut leiden; er kannte ihn seit seinem sechzehnten Lebensjahr: Guglielmo hatte ihn nach Neapel eskortiert, um den Kronprinzen Federico zu treffen. Der ältere Mann hatte ihn damals wie einen Sohn behandelt, was Lorenzo nie vergessen hatte. In der Zwischenzeit heiratete Guglielmo Lorenzos ältere Schwester Bianca und festigte somit seine Position als Freund der Medici.
Zu Beginn der Predigt legte der junge Kardinal ein eigenartiges, süßliches Lächeln auf und flüsterte: »Euer Bruder ... wo ist Euer Bruder? Ich dachte, er würde doch gewiss zur Messe kommen. Ich hatte so gehofft, ihn kennenzulernen.«
Die Frage überraschte Lorenzo. Obwohl Giuliano höflich angedeutet hatte, er werde zur Messe kommen, um Kardinal Riario zu treffen, war sich Lorenzo sicher, dass niemand, am wenigsten Giuliano selbst, dieses Versprechen ernst genommen hatte. Giuliano als der berühmteste Schürzenjäger von Florenz war bekannt dafür, dass er zu förmlichen oder diplomatischen Anlässen nicht erschien -es sei denn, Lorenzo legte großen Wert darauf. (Was er in diesem Fall bestimmt nicht tat.) Giuliano hatte sich bereits für das Mittagessen entschuldigen lassen.
Tags zuvor war er vollkommen entsetzt gewesen, als Giuliano ihm seinen Wunsch eröffnet hatte, mit einer verheirateten Frau nach Rom durchbrennen zu wollen. Bisher hatte Giuliano keine seiner Liebschaften sonderlich ernst genommen; noch nie hatte er sich derart töricht gezeigt und schon gar nicht von Heirat gesprochen. Es war immer selbstverständlich
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