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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Herz von Florenz erobert hatte, war Karneval eine schöne Zeit gewesen; als Kind war ich durch die Straßen gefahren und hatte mit offenem Mund die Gebäudefassaden bestaunt - vorher abweisend und grau, waren sie durch rote und weiße Banner, golddurchwirkte Gobelins, Girlanden aus leuchtenden Papierblumen verwandelt worden. Männer und Frauen tanzten durch die Straßen; sie trugen bemalte, mit Gold und Diamanten verzierte Masken; Löwen und Kamele aus den Menagerien der Medici wurden zur Belustigung der Bürger vorgeführt.
    Nun waren die Straßen ruhig und düster, dem Hass des Propheten sei Dank.
    Zalumma und die Köchin schwiegen. Agrippina war eine grauhaarige Frau aus einer Bauernfamilie und neigte nicht dazu, sich mit Menschen zu unterhalten, die sie für höherstehend hielt. Sie war untersetzt, hatte ein breites Gesicht, schwere Knochen und nur noch wenige Zähne. Ein braunes Auge war umwölkt und blind, doch mit dem gesunden schaute sie aus dem Fenster, ebenso hungrig nach einem Tapetenwechsel wie ich.
    Wir waren uns einig, dass es am besten wäre, später zu beten und zuerst etwas einzukaufen, ehe die Vorräte knapp wurden. Deshalb fuhren wir am Duomo vorbei Richtung Süden auf die großen, gezackten Zinnen des Turms auf dem Palazzo della Signoria zu. Die Piazza del Grano, ein kleinerer Platz, befand sich hinter dem Palazzo auf der Ostseite. An der Rückwand des Gebäudes standen große Silos mit Weizen und Mais hinter stabilen Holzzäunen; davor waren provisorische Stände mit Waagen für die Verteilung errichtet worden. Vor den Ständen war ein niedriges Tor, das verschlossen blieb, bis das Geschäft anlief.
    Claudio fuhr die Kutsche an den äußeren Rand des Platzes, weiter kamen wir nicht. Ich hatte mit einer Menschenansammlung gerechnet, nicht aber mit dem, was ich sah: Der Platz war gerammelt voll, sodass nicht ein Fleckchen Erde zu sehen war. Hunderte von barhäuptigen Bauern mit schmutzigen Gesichtern und schwarzen Händen, die Schultern in Wollfetzen gehüllt, schrien um Barmherzigkeit, um Almosen, um eine Handvoll Getreide. Vor ihnen schraken Adelsfrauen in Samt und Pelzen zurück, die ihren Sklaven nicht getraut hatten, die Nahrungsmittel nach Hause zu bringen, und Diener mit finsteren Mienen schoben sich mit Ellenbogeneinsatz an den gleichermaßen entschlossenen Armen vorbei.
    Ich steckte den Kopf aus der Kutsche; von meinem hohen Standpunkt aus konnte ich in den Ständen mehrere
    Männer erkennen, die die Köpfe zusammensteckten und vor dem noch immer verschlossenen Tor diskutierten. Sie hatten die wachsende Unruhe gespürt, ebenso wie unsere Pferde, die nervös aufzustampfen begannen. Niemand hatte so früh eine solche Menschenmenge erwartet.
    Claudio schwang sich vom Kutschbock und legte die Hände auf die Kutschentür, ohne sie jedoch zu öffnen. Seine Miene war düster.
    »Vielleicht sollte ich gehen«, sagte er. »Agrippina ist klein; sie kann sich niemals bis ans Tor vorkämpfen.«
    Schnaubend schaute sie mit dem gesunden Auge auf ihn herab. »Seit vierzig Jahren habe ich diese Familie satt bekommen. Keine Menschenmenge kann mich aufhalten.«
    Claudio hielt den Blick auf mich gerichtet. »Ihr geht beide«, sagte ich. »Damit stehen eure Chancen besser. Za-lumma und ich warten in der Kutsche.«
    Claudio nickte kurz und hielt die Tür für Agrippina auf, die einige Mühe beim Aussteigen hatte; nur halb so groß wie er, drehte sie sich um und schritt neben ihm auf die Menge zu, wobei er eine Hand an den Knauf seines langen Messers legte.
    Ich sah zu, wie sie im Gedränge verschwanden - bis ein Gesicht vor dem Fenster der Kutsche auftauchte, so plötzlich, dass ich zusammenfuhr.
    Die Frau vor dem Fenster war jung, nicht älter als ich; ihr unbedecktes Haar war zerzaust, die blauen Augen traten wild hervor. Ihre eingefallenen Wangen waren rußverschmiert. Ein Kleinkind hing still in einem Tuch an ihrer Brust.
    »Habt Erbarmen, Madonna«, sagte sie mit deutlich bäuerlichem Akzent. »Habt Mitleid, um Christi willen! Eine Münze, ein wenig zu essen für mein Kind .«
    Zalummas Gesicht wurde hart; ihre Hand fuhr an ihr Mieder. »Verschwinde! Weg von unserer Kutsche!«
    Die rot geränderten Augen der Bettlerin tränten vor Kälte, die Nase lief. »Madonna, Gott hat Euch mir hierher geschickt! Um Christi willen ...«
    Wäre das kleine Kind nicht gewesen, hätte ich vielleicht besser acht gegeben. So aber nestelte ich an meiner Taille nach dem Geldbeutel und zog einen Soldi hervor. Ich wollte ihn

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