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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Mittags gingen Francesco, mein Vater und ich nach San Lorenzo, um an einem Gottesdienst von Fra Girolamo teilzunehmen.
    Ich schaute zu dem Propheten in der Kanzel, auf sein eingefallenes, reizloses Gesicht mit der Hakennase und fragte mich, ob er begriff, dass seine Eingebungen nicht einer himmlischen Quelle entstammten.
    Er sagte nichts über Papst Alexander, wohl aber über »jene üblen Prälaten, die über Gott wimmern, sich jedoch mit Juwelen und Pelzen schmücken«. Vehement prangerte er Frauen an, die in »unschicklichen« Kleidern umherstolzierten, hergestellt aus derart feinen Stoffen, dass der Verkauf auch nur eines solchen Kleidungsstücks viele hungernde Bettler sättigen würde, die in eben jenem Augenblick auf den Straßen von Florenz sterben mussten.
    Ich warf meinem Gemahl einen Seitenblick zu. Francesco erweckte den Anschein, als höre er genau zu, seine Stirn mitfühlend gefurcht, mit sanftmütigem Blick in wohlkalkulierter Unschuld.
    Bei Sonnenuntergang zog Zalumma mir ein schmutziggraues Gewand und eine schlichte Kopfbedeckung über. Schmuck legte ich keinen an; ich hatte aus Angst vor den fanciulli seit Monaten keinen mehr getragen. Diese gehörten zu Savonarolas »Armee«: zehnjährige Jungen, vielleicht noch jünger, die, ganz in Weiß gekleidet, durch die Straßen von Florenz patrouillierten und nach Frauen Ausschau hielten, die gegen die Gesetze verstießen, nach denen unschickliche Kleidung verboten war. Jedes Mieder, das eine Brust auch nur erahnen ließ, jedes Aufblitzen von Gold oder Edelsteinen war ein Verbrechen. Ketten, Ohrringe, Broschen wurden konfisziert als »Spenden« für die Armen. In den vorangegangenen Monaten waren die gnadenlosen Cherubim von Haus zu Haus durch die Stadt gezogen, hatten Gemälde beschlagnahmt, Skulpturen, Raritäten - alles, was an diesem Aschermittwoch jedem als Lektion dienen konnte, der in offensichtlicher Zurschaustellung seines Reichtums schwelgte.
    In unseren Palazzo aber kamen sie nie.
    Sobald ich fertig angezogen war, wartete ich, bis Francesco nach mir rief. Als ich die Treppe herunterkam, betrachtete er meine düstere Erscheinung, meine unauffällig geflochtenen Zöpfe, meinen bescheidenen schwarzen Schleier und sagte nur: »Gut.«
    Dann überreichte er mir ein Gemälde, das so breit war wie mein Arm vom Ellenbogen bis zu den Fingern. »Ich möchte, dass du es heute Abend anbietest.«
    Ich warf einen Blick darauf. Es hing vormals an der Wand im Flur vor dem Kinderzimmer. Auf einer Holzplatte war das Porträt von Francescos erster Frau wiedergegeben, Nannina, als Athene verkleidet. Ihre Büste war im Profil dargestellt; auf dem Kopf trug sie einen kleinen silbernen Helm, unter dem lange, sorgfältig gekräuselte Lok-ken hervorguckten. Der Stil des Künstlers war grob, ihm fehlte Tiefgang. Ihre Haut war unnatürlich weiß, die Augen leblos, die Haltung steif, obwohl sie eigentlich Würde ausstrahlen sollte.
    Wir hatten viele Gemälde mit heidnischen Themen im Haus - eins davon in Francescos Arbeitszimmer zeigte eine nackte Venus -, dennoch hatte er dieses harmlose gewählt, vielleicht um der Öffentlichkeit nahezulegen, es sei das sündigste, das wir hatten finden können.
    Im Übrigen hatte er es aus dem gehämmerten Silberrahmen genommen.
    Ich nahm es ohne Kommentar entgegen, und wir fuhren schweigend - Francesco war noch immer schlecht gelaunt -zur Piazza della Signoria.
    An jenem Abend waren am bewölkten Himmel weder Sterne noch Mond zu sehen, mir fiel aber ihr Schimmer trotzdem auf, während wir uns der überfüllten Piazza näherten. Als unsere Kutsche am Palast der Signoria vorbeirollte, sah ich überall Fackeln: Fackeln neben dem hohen Podest, auf dem der Prophet mit seiner Armee weiß ge-kleideter fanciulli saß; Fackeln zu beiden Seiten des Eingangs zum Palazzo della Signoria; Fackeln in den Händen der Zuschauer; Fackeln, die auf allen vier Seiten den großen Scheiterhaufen für eitlen Plunder säumten. In jedem Fenster im Palazzo, in jedem Fenster in den oberen Stockwerken der Gebäude ringsum schimmerte Kerzenlicht, während die Menschen hinabschauten, um das Schauspiel auf dem Platz zu verfolgen.
    Francesco und ich stiegen aus der Kutsche und schlossen uns der Menge an, die vor dem Scheiterhaufen stand. Mein Gemahl war ein bedeutender Mann in der Regierung; wer ihn erkannte, gab den Weg frei, sodass wir in den inneren Kreis treten konnten.
    Der Scheiterhaufen war eine massive Holzkonstruktion
    - beinahe so hoch, breit und tief wie eine

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