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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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seine Begeisterung nur vorgetäuscht war. In seinem Lächeln lag nur ein Hauch von Un-terkühltheit, die sogleich nachließ, sobald er sich von Pico gelöst hatte - ein wenig zu schnell.
    Den Arm um die Schultern meines Vaters gelegt, drehte der Graf sich um und führte uns zur Kirche. Die Menge teilte sich vor ihm; die meisten erkannten ihn und verneigten sich, womit sie seine enge Verbindung zu Fra Girolamo anerkannten. Er schlängelte sich ins Kirchenschiff, meinem Vater voran, der mich am Arm hielt und hinter sich her zog; Zalumma folgte uns dicht auf den Fersen.
    San Marco war bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, als ich Savonarola das letzte Mal predigen gehört hatte, aber hier in San Lorenzo legten die Menschen alle gesellschaftlichen Unterschiede ab und saßen dicht gedrängt nebeneinander, Schulter an Schulter, kaum imstande, den Arm zu heben, um sich zu bekreuzigen. Obwohl der Abend kühl war, heizten die vielen Leiber die Kirche auf; die stik-kige Luft roch nach Schweiß, und man hörte die Menschen ringsum atmen, seufzen und beten.
    Pico führte uns nach vorn, wo der stämmige Mönch Domenico Plätze für uns frei hielt. Ich wandte mich ab, damit weder er noch die anderen meinen Hass bemerkten.
    Er stapfte an uns vorbei, sprach kurz mit Pico und verschwand in der Menge. Da erst schaute ich mich um - und mein Blick fiel auf das charakteristische, mir bekannte Gesicht eines schlaksigen, schweigsamen jungen Mannes. Es dauerte eine Weile, bis ich mich daran erinnerte, wo ich ihn gesehen hatte: im Palazzo Medici, wo er still bei Botticelli und Leonardo da Vinci gesessen hatte. Es war der Bildhauer Michelangelo.
    Der Gottesdienst begann. Das Ritual der Messe war bis auf das Wesentliche gekürzt angesichts der Tatsache, dass die Menschen nicht gekommen waren, um am heiligen Abendmahl teilzunehmen; sie waren so zahlreich erschienen, um Savonarola predigen zu hören.
    Und das geschah dann auch. Der Anblick des reizlosen kleinen Mönchs, der sich an den Rand der Kanzel klammerte, setzte mir weitaus mehr zu als die Gegenwart Picos oder des Mörders Domenico.
    Als der Prediger den Mund öffnete und seine raspelnde Stimme die Kathedrale erfüllte, rann mir unwillkürlich eine Träne über die Wange. Zalumma sah es und nahm mich fest an die Hand. Mein Vater bemerkte es ebenfalls; vielleicht dachte er, meine Traurigkeit entspränge der Reue. Schließlich hatten viele Zuhörer - meist Frauen, aber auch ein paar Männer - angefangen zu weinen, sobald Savonarola den ersten Satz ausgesprochen hatte.
    Ich konnte mich kaum auf seine Worte konzentrieren; ich bekam nur Bruchteile der Predigt mit:
    Die Heilige Mutter Gottes ist mir persönlich erschienen und hat zu mir gesprochen ...
    Die Plage des Herrn ist nahe ... Halte an Sodomie fest, o Florenz, an der Schweinerei, dass Männer Männer lieben, und der Herr wird dich niederschlagen. Halte fest an der Liebe zu Reichtum, zu Juwelen und eitlem Tand, während die Armen nach Brot schreien, und der Herr wird dich niederschlagen. Halte an Kunst und Verzierungen fest, die das Hohelied auf das Heidnische singen und versäumen, Jesus Christus zu preisen, und der Herr wird dich zerschlagen. Halte an deiner irdischen Macht fest, und der Herr wird dich niederwerfen.
    Ich dachte an Leonardo, der inzwischen sicher nach Mailand zurückgekehrt war, wenn er klug war. Ich dachte an Lorenzo, der gezwungen war, zu bleiben, obwohl die Herzen seines eigenen Volkes gegen ihn vergiftet wurden. Ich dachte an Giuliano den Älteren, dessen irdische Überreste hier ruhten, und fragte mich, ob er wohl mit Entsetzen aus dem Himmel zuhörte.
    Das Verderben wird über dich kommen, Florenz; die Vergeltung ist nah. Die Zeit ist gekommen. Die Zeit ist

    Ich drehte mich um und flüsterte Zalumma etwas zu. Ich legte eine Hand an die Stirn und schwankte, als wäre mir schwindelig. Es war nicht gänzlich gespielt.
    Sie reagierte besorgt. Sie beugte sich an mir vorbei zu meinem Vater und flüsterte: »Ser Antonio, ihr ist schlecht; ich fürchte, sie wird ohnmächtig. Es liegt an den vielen Menschen. Wenn Ihr erlaubt, bringe ich sie kurz nach draußen, damit sie ein wenig frische Luft schnappen kann.«
    Mein Vater nickte und gab uns mit einer raschen, ungeduldigen Geste zu verstehen, dass wir gehen sollten; seine weit aufgerissenen Augen leuchteten; er sah uns nicht, sondern nur den Mann auf der Kanzel.
    Auch Pico war derart von Fra Girolamos Worten fasziniert, dass er uns keine Beachtung schenkte. Ich drehte

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