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Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis

Titel: Kalogridis, Jeanne - Leonardos Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Gesundheitszustands habe ich ihn nicht behelligt; ich habe jedoch mit meinem älteren Bruder Piero gesprochen, der einverstanden war, mir zuliebe einen zweiten Brief an Ser Antonio zu schreiben. Er wird Eurem Vater vorschlagen, falls er einen Besuch in Castello für unziemlich hält, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ich Euch in Eurem Palazzo besuche - in Anwesenheit Eures Vaters und meines Bruders, versteht sich. Sollte auch dies abgelehnt werden, muss ich fragen: Gibt es vielleicht einen öffentlichen Platz in der Stadt, an dem wir uns zufällig begegnen könnten? Verzeiht mir meine Kühnheit. Es ist der verzweifelte Wunsch, Euch wiederzusehen, der mich ermutigt. Ich verbleibe Euer getreuer Diener Giuliano de' Medici
    Ich hielt den Brief eine Weile im Schoß und dachte nach.
    Der Marktplatz war die erste Wahl. Ich ging dort häufig hin, deshalb würde sich niemand daran stoßen. Dennoch war es wahrscheinlich, dass ich dort eine Nachbarin traf oder einen Freund der Familie, oder die Gattin oder den Diener eines Mannes, der meinen Vater kannte. Auf dem Platz hielten sich immer viele Menschen auf, doch nicht genug, um dem wachen Auge unseres Kutschers zu entgehen, und zu viele bekannte Gesichter. Ein Stelldichein zwischen einem jungen Mädchen und einem Sohn der Medici würde auffallen. Es gab keinen anderen Platz, an den der Kutscher mich regelmäßig fuhr. Wenn ich mich an einen neuen Ort bringen ließe, würde er es bestimmt meinem Vater berichten.
    Zalumma stand neben mir, von Neugier verzehrt. Die Höflichkeit gebot ihr jedoch, zu schweigen und abzuwarten, bis ich ihr zumindest Teile der Nachricht preisgab.
    »Wie lange«, fragte ich sie schließlich, »würde es dauern, bis Ser Giuliano eine Antwort erhält?«
    »Er hätte sie morgen in Händen.« Sie schenkte mir ein verschwörerisches Lächeln. Ich hatte ihr alles über den Rundgang im Palazzo Medici erzählt: über Ser Lorenzos Freundlichkeit und Gebrechlichkeit, über die Kühnheit des jungen Giuliano, über Leonardos Güte und Schönheit. Sie wusste ebenso gut wie ich, dass eine Verbindung mit Giu-liano undenkbar war, doch ich glaube, insgeheim genoss sie es, Konventionen zu missachten. Vielleicht war auch sie von der ungezügelten Hoffnung beseelt, dass das Unmögliche doch noch eintreten könnte.
    »Hol mir Feder und Papier«, sagte ich, und als ich beides hatte, kritzelte ich eine Antwort hin. Sobald der Brief gefaltet und versiegelt war, reichte ich ihn ihr.
    Dann erhob ich mich, schloss die Tür auf und ging hinunter, um meinen Vater zu suchen.
29
    Mein Vater umarmte mich, als ich ihm mitteilte, ich wolle die Messe mit ihm besuchen. »Zwei Tage«, sagte ich. »Gib mir zwei Tage, um zu beten und mein Herz vorzubereiten, dann werde ich mitkommen.« Er gewährte sie mir nur zu gern.
    Am nächsten Tag, wie Zalumma versprochen hatte, wurde der Brief Giuliano ausgehändigt; Giuliano ließ meinen unbekannten Boten warten und verfasste umgehend eine Antwort. Gegen Abend, eingeschlossen in der Sicherheit meines Schlafgemachs, las ich seine Antwort wieder und wieder, bis Zalumma schließlich darauf bestand, dass ich die Kerze lösche.
    Obwohl es am Tag zuvor unablässig geregnet hatte, war der Abend des zweiten Tages so schön, wie man ihn sich Anfang April nur erhoffen konnte. Als wir an der Kirche San Lorenzo vorfuhren, stand die Sonne niedrig am Himmel. Ihre wärmenden Strahlen wurden von einer kühlen Brise abgefangen.
    Mein Vater hatte nicht übertrieben, was die Menschenmenge betraf, die gekommen war, um den Mönch predigen zu hören. Sie drängte sich auf der Kirchentreppe und ergoss sich auf die Piazza; doch trotz der Größe der Versammlung war keine Aufregung zu spüren, weder Lebhaftigkeit noch Freude. Es war still wie auf einer Beerdigung, und die Stille wurde nur von Seufzern und leisen Gebeten unterbrochen. Die Menschen trugen dunkle Farben. Es gab keine herausgeputzten Frauen, kein Aufblitzen von Juwelen oder Gold. Es war, als hätte sich ein großer Schwarm geläuterter Raben versammelt.
    Für uns gab es keine Möglichkeit, sich durch die Menge zu drängen. Einen Moment lang wurde mir schlecht vor Angst: Hatte mein Vater die Absicht, dass wir draußen auf der Piazza stehen sollten? Wenn ja, dann war alles verloren
    Doch als mein Vater mir aus der Kutsche half, tauchte Giovanni Pico auf; er hatte uns erwartet. Allein sein Anblick flößte mir Unbehagen ein.
    Mein Vater umarmte Pico, aber ich kannte ihn gut genug, um zu bemerken, dass

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