Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Depressivität wagen zu dürfen. Erst wenn Patientinnen sich angenommen fühlen, können sie darüber nachdenken, was für sie jetzt wichtig ist. Welche Zeit habe ich? Wie muss ich mir die Therapie arrangieren?
Es ist also wichtig, dass mir jemand gegenübersitzt, der akzeptiert, dass es mir gerade sehr schlecht geht?
Ja. Sie brauchen jemanden, der die Depression aushält. Genauso wie die Suizidalität. Es gibt da einen Satz, der als Leitlinie dienen kann: »Sie können vierundzwanzig Stunden am Tag suizidal sein, aber Sie müssen sich melden, wenn Sie es tun wollen.« Mit anderen Worten: Bitte über Suizidalität reden, offen, klar und wenn nötig ausgiebig. Hier in Tiefenbrunn machen wir das so â und erleben äuÃerst wenige Suizide und Suizidversuche. Warum ist das wichtig? In den Gedanken zur Suizidalität stecken oft wichtige Botschaften, und folglich ist sehr wichtig, dass die Patientinnen merken, dass sie auch darüber wirklich offen reden können. Dass sie spüren, der Therapeut hält das aus und hört mir zu. Ich kann aufrichtig sagen, wie ich drauf bin, ohne dass der zu schnell sagt: »Sie gehen jetzt in die Geschlossene!« Wobei es sinnvoll und notwendig sein kann, Medikamente zu geben und auch zeitweilig geschlossen zu behandeln. Ich würde grundsätzlich alles für richtig heiÃen, was es in solchen Krisen ermöglicht, mit den Patientinnen in intensivem Kontakt zu bleiben.
Woher weià ich, was ich brauche?
Depressive Menschen sollten die Behandlung mitgestalten: Sie haben in fast allen Fällen Erfahrungen damit, was oder wer ihnen hilft, jemand, der »Beine macht« oder Mut und tröstet, was dazu beiträgt, dass die Depression sich bessert. Depressive Menschen sind häufig verschämt, halten sich für wenig zumutbar und sprechen dann oft nicht von ihrem Wissen. Frauen reden darüber allerdings eher als Männer.
Wie können sich Frauen vor einem Gespräch informieren?
Mit der Kurzversion der Nationalen VersorgungsLeitlinien im Internet. Das sind achtzig Seiten, bestens gegliedert. Darin können Frauen gut nachsehen und ihr Wissen dann mit ins Gespräch mit den Ãrzten bringen. Es gibt auch Tests zur Selbsteinschätzung (auch im Netz zu finden), die bei der Orientierung helfen.
Ist eine Klinik immer das letzte Mittel der Wahl?
Eine Behandlung im Krankenhaus ist häufig der sinnvolle erste Schritt bei einer schwereren oder wiederkehrenden Depression. Kein Mensch wird bei einer leichten oder mittelschweren Depression, die einige Wochen dauert, gleich ein Krankenhaus empfehlen. Aber wenn es immer wieder zu Depressionen kommt, wenn eine gravierendere Begleiterkrankung dabei ist, wenn die Stärke der Depression zunimmt oder wenn ambulante medikamentöse und psychotherapeutische Versuche nicht fruchten, dann wird es Zeit für eine Klinik. Ein Aufenthalt in einem entsprechenden Krankenhaus hilft auch deshalb, weil man da eher die Zeit hat, in einem geschützten Rahmen erst einmal kennenzulernen, was denn eine Psychotherapie ist. Wie ist es, wenn ich anfange, mich mit mir selbst zu beschäftigen? Und er hat auÃerdem praktische Gründe: Man muss nicht einkaufen gehen, nicht den Haushalt erledigen. Man kann zu sich kommen und einen Grundstein dafür legen, zu erkennen, wie es weitergehen kann. Deshalb würde ich eine Klinik nie als letztes Mittel der Wahl ansehen, sondern bei entsprechender Ausprägung der Depression mit an vorderste Stelle setzen.
Viele Menschen sind skeptisch, was Psychotherapie angeht, sie können sich darunter nichts vorstellen. Wie gelingt es, dass Depressive diese Behandlungsform annehmen?
Indem man vermittelt, dass eine Psychotherapie nicht den ganzen Menschen umkrempelt, sondern dass es um einen sicher erlebten Zugang zu sich selbst und zu Beziehungen geht. Nichts hilft gegen Suizidalität so effektiv wie eine sicher erlebte Beziehung. Psychotherapie ist etwas, wodurch zunächst die eigene Beziehungsfähigkeit gestärkt und die Angst vor Verlusten beziehungsweise Zurückweisungen gedämpft wird. Wieder Kontakt erleben zu können, ist erst einmal das Wichtigste. Weiterhin muss erfahrbar werden, dass Patientinnen Steuerungsmöglichkeiten haben, das Ruder wieder selber in die Hand nehmen können, wenn auch anfangs nur in kleinen Schritten. Depressionen entstehen häufig nach gravierenden Belastungen in der Kindheit. Das macht
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