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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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ein Umdenkprozess stattfindet. Der Chef der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde ( DGPPN ), Professor Peter Falkai, sprach kürzlich selbst Schwierigkeiten mit der Pharmakotherapie an, insbesondere, dass die Hoffnungen, die man in neue Medikamente setzte, sich nicht erfüllt hätten. Und das ist auch nachvollziehbar, denn die Erfahrungen, die Patienten in Psychotherapien machen, bewirken seelische Veränderungen und wirken dadurch nachhaltiger als Tabletten. Was nicht heißt, dass Medikamente nicht ihre Funktion haben. Aber wir arbeiten hier vor allem mit hoch spezialisierter und individuell abgestimmter Psychotherapie nach sehr ausgiebiger Diagnostik und kommen deshalb in der Regel mit weniger Medikamenten aus. Wir sind diesbezüglich kritisch und beziehen die Patienten bei der Auswahl unserer Behandlungsmethoden intensiv mit ein.
    Also sollte in den Psychiatrien mehr Psychotherapie angeboten werden.
    Müsste! Eindeutig müsste! Allerdings sitzen die Krankenkassen den Psychiatrien im Nacken – die hätten es am liebsten, dass Klinikaufenthalte wegen psychischer Störungen grundsätzlich gekürzt und reduziert würden. Der Kostendruck ist enorm. Patientinnen werden deshalb oft nach kürzerer Zeit wieder entlassen. Der Transfer in eine ausreichende ambulante Therapie verläuft dann nicht immer gut und ist auch nicht in jedem Fall leicht vorzubereiten. Man spricht in der Organmedizin manchmal krass von der »blutigen Entlassung« – Ähnliches gibt es manchmal auch in der Psychiatrie. Dadurch schafft man aber Drehtüreffekte, weil in der kurzen Zeit der stationären Arbeit der »Gebrauch« von Therapie nicht gut erarbeitet und vermittelt werden kann. Ein wesentliches Problem ist dabei in der Regel die Zugänglichkeit für Psychotherapie. Was ich meine: Jemand, der eine existenzielle Selbstwertkrise hat, ist auf einmal mit einem mächtig und – im Vergleich – gesund wirkenden Therapeuten konfrontiert. Wie ergeht es den Patienten dabei? Mit Idealisierung und Unterwerfung ist noch keine Therapie richtig gut geworden. Therapie gehört auf Augenhöhe gemacht.
    Würden Sie einer depressiven Frau, wenn sie denn ins Krankenhaus muss, zu einer Depressionsstation raten?
    In Tiefenbrunn haben wir keine Depressionsstation, weil unsere Erfahrung die ist, dass depressive Symptome, auch schwere, immer im Rahmen komplexer Störungen auftreten. Zusammen mit Zwängen, Ängsten, psychosenahen Zuständen, mit Persönlichkeits-, Ess- oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Wir müssen aber das gesamte Störungsbild behandeln und konzentrieren uns deshalb darauf, die individuelle Entwicklung zu erfassen, die die Menschen gemacht haben, und wie die sich auf die Bewältigung von Konflikten auswirkt. Eine therapeutische Monokultur finde ich schwierig, auch für die Patienten. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Station, auf der alle schwer depressiv sind, keinen Antrieb haben und so in der Ecke hängen. Wir haben hier deshalb Abteilungsschwerpunkte, die sich an Entwicklungsprofilen orientieren. Aber sonst sind Depressionsstationen zu empfehlen, weil dieser Begriff meistens beinhaltet, dass überhaupt Psychotherapie angeboten wird.
    Was würden Sie depressiven Frauen raten, die eine Klinik beziehungsweise eine Station für sich suchen?
    Ein Hauptkriterium sollte sein, dass dort substanziell Psychotherapie gemacht wird. Eigentlich kann jede Klinik Vorgespräche anbieten. Das ist für die Patientinnen hilfreich, sie können sich so informieren, was sie dort erwartet. Hier bekommen sie Fragen beantwortet, und es wird geprüft, ob eine Zusammenarbeit Erfolg versprechend sein könnte. Empfehlenswert ist auch, darauf zu achten, wie der Ansprechpartner in der Klinik das Gespräch führt, ob man sich ernst genommen fühlt, ohne dass ein zu großer Veränderungsdruck entsteht. Dass Patientinnen den Eindruck haben: ich kann erst mal so depressiv sein, wie ich es bin. Die Depressiven sind ja oft Meister im kurzfristigen Sichzusammenreißen und Dagegenpowern, und sie merken sehr rasch, wenn da jemand ist, der will, dass sie schnell wieder – zumindest äußerlich – funktionieren, dass sie sich zügig ändern und eigentlich nicht depressiv sein dürfen. Genau andersherum ist es aber richtig. Es muss die Sicherheit gegeben sein, gemeinsam einen Blick auf die

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